nTLDs

Keine Folgen aus Independent Review Process über ICANNs Untätigkeit im Falle .web-Bewerberstreit

Urteil gefällt, doch keine Lösung in Sicht: die Netzverwaltung ICANN hat bei der Vergabe der Top Level Domain .web nach einer Entscheidung des International Centre for Dispute Resolution (ICDR) zwar die eigenen Statuten verletzt. Wer .web künftig betreiben darf, bleibt aber vorerst offen.

Im November 2018 hatte Afilias Domains No. 3 Limited, eine der sieben Bewerberinnen um .web, ein »Independent Review Process«- Schiedsverfahren (IRP) gegen ICANN eingeleitet. Afilias machte geltend, dass die Internet-Verwaltung bei der Vergabe von .web an den Registry-Neuling Nu Dot Co LLC gegen die eigenen Statuten verstoßen habe. Nu Dot Co hatte sich mit Unterstützung von VeriSign in einer Auktion mit einem Gebot von US$ 135 Mio. den Zuschlag geholt, die Unterstützung aber nicht offengelegt. In seiner 128 Seiten starken Entscheidung vom 20. Mai 2021 kommt das dreiköpfige Panel des ICDR nun zu dem Ergebnis, dass ICANN gleich mehrfach gegen die eigenen

Amended and Restated Articles of Incorporation“ verstoßen hat; unter anderem heisst es: […] the Respondent has violated its commitment to make decisions by applying documented policies objectively and fairly.

Konkret stört sich das Schiedsgericht daran, dass ICANN das Delegierungsverfahren fortgesetzt hat, obwohl dem Board of Directors bekannt war, dass Nu Dot Co (NDC) möglicherweise gegen die Regeln im Bewerberhandbuch verstoßen hat:

The evidence in the present case shows that the Respondent, to this day, while acknowledging that the questions raised as to the propriety of NDC’s and Verisign’s conduct are legitimate, serious, and deserving of its careful attention, has nevertheless failed to address them.

Zum Verhängnis wurde ICANN also die Untätigkeit, sich mit den Vorwürfen gegen Nu Dot Co ernsthaft auseinanderzusetzen, parallel aber die Einführung von .web voranzutreiben.

Ausdrücklich nicht festgestellt hat das Schiedsgericht, ob der von Afilias erhobene Vorwurf zutrifft und Nu Dot Co die Rolle von VeriSign als geheimer »Sugar Daddy« hätte offen legen müssen. Diese Entscheidung liege allein bei ICANN, denn die Netzverwaltung »has the requisite knowledge, expertise, and experience«. Soweit das Schiedsverfahren von Afilias mit dem Ziel betrieben wurde, die Bewerbung von Nu Dot Co zu disqualifizieren und zugleich Afilias selbst als .web-Registry einzusetzen, hat das Panel dem also einen Riegel vorgeschoben. So erklärt sich der Kern der Entscheidung, den das Schiedsgericht wie folgt zusammenfasst:

The Panel therefore denies the Claimant’s requests for (a) a binding declaration that the Respondent must disqualify NDC’s bid for .WEB for violating the Guidebook and Auction Rules, and (b) an order directing the Respondent to proceed with contracting the Registry Agreement for .WEB with the Claimant, in exchange for a price to be specified by the Panel and paid by the Claimant.

ICANN muss also neu entscheiden, ob das »Domain Acquisition Agreement« zwischen Nu Dot Co und VeriSign gegen die Regelungen im nTLD-Programm verstößt.

In einer ersten Stellungnahme deutet ICANN aber an, diese Entscheidung weiterhin vermeiden zu wollen. Stattdessen setzt man darauf, dass sich die verbleibenden Bewerber in einer privaten Auktion einigen. Man könnte dies als Aufforderung an VeriSign verstehen, Afilias aus dem weiteren Bewerbungsverfahren herauszukaufen, um so am Ende .web doch noch zu erhalten. Die Rechte an der Bewerbung um .web liegen bei der zur Altanovo Domains Limited umfirmierten Afilias Domains No. 3 Limited, die jedoch nicht – wie der Rest des Registry-Geschäfts von Afilias – an Donuts verkauft wurde. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass ICANN zu dem Ergebnis kommt, dass Nu Dot Co die »stille« Beteiligung von VeriSign nicht hat offenlegen müssen – dann dürften die juristischen Auseinandersetzungen erst recht weitergehen. Nach derzeitigem Stand ist also völlig offen, wann die ersten .web-Domains registriert werden können.

  1. .web Enthusiast

    Das ganze ist echt seltsam. Man wartet Jahre auf eine Entscheidung und am Ende ändert diese Entscheidung an der ganzen Sache überhaupt nichts!
    Gibts da etwa ein Zuständigkeitsproblem?
    Warum diese ganze Zankerei?
    Was ist eure Meinung zum Ganzen?

    Antworten
    • RA Florian Hitzelberger

      Sehr geehrte Leserin,
      sehr geehrter Leser,

      man kann nicht sagen, dass sich nichts geändert hat – das Schiedsgericht hat geurteilt, und ICANN muss nun neu prüfen. Die Vielzahl an Streitigkeiten erklärt sich mit der Attraktivität von .web, kaum eine andere nTLD hat ein ähnliches globales Potential. Wir würden uns aber natürlich auch wünschen, dass endlich die ersten .web-Domains registriert werden können. Zugleich sind wir zuversichtlich, dass .web damit der Einführung ein gutes Stück näher gerückt ist. Wir werden weiterhin berichten!

      Mit freundlichen Grüßen,

      Florian Hitzelberger
      Team domain-recht.de

      Antworten

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