ICANN

Internet Verwaltung an der Schwelle zur Inhaltspolizei

Die Internet-Verwaltung ICANN sieht sich zusehends in die Rolle einer »Content-Polizei« gedrängt: auf Bitten eines Vereins, der dem Judentum in Deutschland eine Stimme gibt, soll ICANN für die Abschaltung der Website judas.watch sorgen.

Auslöser der aktuellen Diskussion ist ein Schreiben des in Berlin ansässigen Vereins WerteInitiative eV vom 23. Oktober 2018 an ICANN. Der politische gemeinnützige Verein, der sich nach eigenen Angaben für eine Stärkung der Werte der freiheitlichdemokratischen Grundordnung aus jüdischer Perspektive einsetzt und zu dessen Ehrenmitgliedern Charlotte Knobloch, ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, zählt, wendet sich darin gegen die Website judas.watch. Das englischsprachige, halb datenbank-, halb blog-ähnlich aufgebaute Portal dokumentiert laut Eigenbeschreibung »anti-White traitors, agitators and subversives« und hebt jüdischen Einfluss auf das politische, gesellschaftliche und kulturelle Geschehen hervor. Es markiert Personen wie den Politiker Gregor Gysi, den Schauspieler Christian Berkel oder den Publizisten Josef Joffe mit einem virtuellen gelben Davidstern, um deren Nähe zum Judentum hervorzuheben. Dr. Elio Adler, Vorstandsvorsitzender des WerteInitiative eV, fordert nun ICANN zur Mithilfe auf, die Website abzuschalten, da sie Hass und Antisemitismus verbreite; man wolle die Seite aus dem Internet verbannen und bittet ICANN hierbei um Hilfe. Zugleich bitte man ICANN um Mitteilung, wer hinter der Website stecke, um gegen sie in Deutschland vorgehen zu können.

ICANN hat bereits auf die Bitte geantwortet. Mit Schreiben vom 13. November 2018 verwies CEO Göran Marby darauf, dass er das Anliegen an die »Contractual Compliance«-Abteilung weitergeleitet habe; dort bemühe man sich bereits um zusätzliche Informationen. Zugleich hob Marby aber hervor, dass man keine juristische Kompetenz oder technische Möglichkeiten habe, rechtsmissbräuchliche oder rechtswidrige Inhalte zu verbieten; weder das Registry Agreement (RA) noch das Registrar Accreditation Agreement (RAA) sehen entsprechende Regelungen vor. Eine Suspendierung der Domain schloss Marby deshalb aus. Stattdessen verwies er den Verein darauf, sich an die Registry Binky Moon LLC, eine Tochtergesellschaft von Donuts Inc., oder an den zu Tucows gehörenden Registrar eNom, der die Domain verwaltet (hat), zu wenden. Warum Marby die »Contractual Compliance«-Abteilung einschaltet, die lediglich prüft, ob Vertragspartner von ICANN ihre vertraglichen Verpflichtungen einhalten, zugleich aber jede Möglichkeit der Einflussnahme ausschließt, klärt das Schreiben nicht auf. Die Domain selbst ist offenbar seit dem Jahr 2015 registriert; ein Privacy-Service verhindert seither nähere Informationen zum Domain-Inhaber.

Für ICANN ist die Prüfung ein Spiel mit dem Feuer. Auf Grundlage der eigenen Satzung versteht sich ICANN als technischer Koordinator für die Sicherheit und Stabilität des DNS; mit Webinhalten hat man dagegen ebenso wenig etwas zu tun wie ein Strassenbauer mit Geschwindigkeitsverstössen. Sollte judas.watch einen Präzedenzfall schaffen, wäre die Tür für Dritte, die sich in ihren Rechten verletzt sehen, weit geöffnet. Eher ungewollt nährt die Netzverwaltung damit eine Diskussion, welche Uniregistry Corp., Verwalterin von 24 neuen Top Level Domains, mit ihrer Forderung nach einer »domain name bill of rights« erst vor Kurzem angestoßen hat. Anders als in UDRP-Verfahren geht es Uniregistry weniger um die (potentielle) Rechtswidrigkeit der Registrierung einer Domain zu gehen, sondern um die unter ihr verbreiteten Inhalte. Diese Prüfung war bisher den nationalen Gerichten vorbehalten, ein der UDRP vergleichbares, weltweit verbindliches Schiedsverfahren gibt es dafür bisher nicht.

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