Branchendomains

Stand der Dinge nach drogerie.de

Der BGH hatte mit seiner Entscheidung mitwohnzentrale.de (Urteil vom 17.05.2001, I ZR 216/99) klar gestellt, dass Gattungsbegriffsdomains grundsätzlich registriert werden dürfen. Die Frage, wer diese Art von Domains registrieren darf, sofern sie eine Berufsgruppe bezeichnen, stellte sich nicht. Um mitwohnzentrale.de stritten zwei Verbände von Mitwohnzentralen. Die Frage wurde aber umstrittenes Thema bei Domains wie drogerie.de, rechtsanwalt.com und vielen anderen.

Am 12.09.2002 verkündete das OLG Frankfurt/M sein Urteil zu drogerie.de (Az.: 6 U 128/01), mit dem es die Entscheidung des LG Frankfurt/M vom 23.03.2001 (Az.: 3/12 O 4/01) aufhob. Seit Mitte Dezember 2002 liegen die Urteilgründe vor. Danach ist das Betreiben einer Branchendomain durch einen Branchenfremden möglich.

Branchendomains
Unter einer Branchendomain versteht man eine Gattungsbegriffdomains, die eine ganze Branche bezeichnet, etwa rechtsanwalt.com, drogerie.de und arzt.de. Fasst man diesen Begriff etwas weiter, fallen auch Begriffe darunter, die eng mit einer Branche verbunden sind, wie bei der Domain steuererklaerung.de, die an den Beruf der Steuerberater gemahnt, aber auch an die Finanzbehörden. Die Frage, die sich im Zusammenhang mit solchen Domains ergibt, lautet: muss der Inhaber der Domain der Branche angehören?

Die Rechtslage
Vor der drogerie.de Entscheidung des OLG Frankfurt/M, herrschte die u.a. vom LG Frankfurt/M vertretene Ansicht vor, wonach

Internetportale unter generischer www Adresse dann irreführend sind, wenn der Inhalt nicht unter Federführung zumindest eines Berufsträgers (hier Drogist) erstellt wird. Aus UWG § 3 kann deshalb die Verpflichtung zum Verzicht auf die gesamte Domain folgen.

Auch das hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg (Urteil vom 02.05.2002, 3 U 303/01) vertritt diese Ansicht:
Die Verwendung der Domain ›rechtsanwalt.com‹ durch eine Aktiengesellschaft, deren Unternehmensgegenstand die Bereitstellung von rechtlichen Informationen und Dienstleistungen im Internet ist, ist gemäß § 3 UWG irreführend, da zumindest ein Teil der Internet-Nutzer unter dieser Domain das Internet-Angebot eines Rechtsanwaltes bzw. einer entsprechenden Standesvertretung erwartet.

Nicht voll kompatibel ist, aber in eine vergleichbare Kerbe schlägt das OLG Nürnberg (Urteil vom 6.11.2001, 3 U 2393/01) mit seiner Entscheidung über steuererklaerung.de:
Die Verwendung des Wortes ›Steuererklärung‹ als Domain-Namen durch einen Lohnsteuerhilfeverein stellt eine irreführende Angabe dar, die ihr gemäß § 3 UWG zu verbieten sei. Die sich aus dem Domain-Namen ergebende Unternehmungskennzeichnung muss auf den Inhaber der Domain zutreffen. Dies ist für einen Lohnsteuerhilfeverein im Hinblick auf die ihr gem. § 4 Nr. 11 StBerG nur eingeschränkt zustehende Beratungsbefugnis gerade nicht der Fall. Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher nimmt bei der Bezeichnung ›Steuererklärung‹ an, dass der diese Leistung Anbietende Steuererklärungen umfassend anfertigen darf.

Allen Fällen ist gemein, dass bestimmte branchenspezifische Erwartungen vom Domain-Namen ausgehen, wobei sich fragt, ob der Domain-Inhaber diese erfüllen muss. Die genannten Urteile zeigen, dass sich die Rechtsprechung einig ist, dass die erwartungen erfüllt werden müssen, andernsfalls ist der Domain-Inhaber nicht berechtigt, die Domain zu besitzen.

Anders sieht das das OLG Frankfurt/M bei drogerie.de:

drogerie.de
Der Verband Deutscher Drogisten stritt in dem Rechtsstreit über die Domain drogerie.de mit der branchenfremden Inhaberin und deren Geschäftsführer. Diese sollten die Domain nicht für ein »Drogerie-Portal« benutzen dürfen. Vor dem LG Frankfurt/M bekam der klagende Verband Recht. Vor dem OLG Frankfurt/M scheiterte er.

Anders als das LG Frankfurt/M geht das OLG davon aus, es liege keine Irreführung und kein entsprechender Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG vor. Denn aus Sicht des OLG besteht keine Verbrauchererwartung, unter drogerie.de nur Informationen unter Federführung zumindest eines Drogisten zu erhalten. Ein verständiger und aufgeklärter Internetnutzer vermutet unter der Domain ›www.drogerie.de‹ keine Web-Site, die zwingend von einem Drogisten gestaltet oder zumindest kontrolliert wird. Dagegen spreche bereits, dass der Begriff ›Drogerie‹ für die Bezeichnung einer Web-Site zu vielsagend und damit zu unbestimmt ist.

Im übrigen liegt aus der Sicht des OLG Senats in Frankfurt/M keine unlautere und sittenwidrige Behinderung des klagenden Verbandes Deutscher Drogeristen vor, dabei bezieht er sich auf die Entscheidung mitwohnzentrale.de des BGH, wonach die Registrierung und Nutzung eines beschreibenden (generischen) Begriffs als Internet-Domain grundsätzlich noch keine unzulässige Behinderung der wettbewerbsrechtlichen Entfaltungsmöglichkeiten von Mitbewerbern darstellt.

Zudem sieht das OLG Frankfurt/M auch kein sittenwidriges Handeln der Beklagten, weil diese zahlreiche Domains registriert haben, um sie später gewinnbringend zu verkaufen oder zu lizenzieren. Das Verhalten ist als solches nicht wettbewerbsrechtliche zu beanstanden, da der Domain-Inhaber, durch die schnelle Registrierung der Domain, sich lediglich einen Vorteil sichert.

Sittenwidrigkeit komme erst in Betracht, wenn ein Domain-Inhaber das auf eigenen subjektiven Rechten beruhende vorrangige Interesse eines Dritten an der Innehabung der Domain zur Gewinnerzielung ausbeutet. Ein auf Kennzeichen- oder Namensrechten beruhendes vorrangiges Interesse des Klägers besteht seitens des klagenden Verbandes an der Domain drogerie.de jedoch nicht. In Betracht kommt dafür lediglich seine Verbandsbezeichnung bzw. der Werktitel seiner Verbandszeitschrift ›Drogerie & parfümerie‹.

Mit dieser Entscheidung ist das OLG Frankfurt/M der bisher in der Rechtsprechungen gängigen Meinung überzeugend entgegen getreten. Überzeugend deshalb, weil sich das Gericht an der Realität des Internet orientierte. Dort treten die Erwartungen der Internetnutzer aufgrund ihrer Erfahrungen mit Informationen hinter einschlägigen Domain-Namen deutlich zurück.

Dieses Gespür für die Normativität des Faktischen im Internet zeigte, zum gleichen Zeitpunkt wie das OLG Frankfurt/M, auch das LG Düsseldorf:

schuelerhilfe.de
Mit dem Begriff Schülerhilfe ist sicherlich keine Berufsgruppe bezeichnet, ähnlich wie bei steuererklaerung.de. Aber es bestehen von Seiten der Internetnutzer durchaus konkrete Vorstellungen, was sie unter der Adresse schuelerhilfe.de erwartet. Doch fragt sich, ob diese Erwartungen auch zwingend erfüllt werden müssen, und andernfalls (wenn sie nicht erfüllt werden) eine Irreführung der Internetnutzer vorliegt, die beachtlich ist.

Das LG Düsseldorf (Urteil vom 27.09.2002, Az.: 38 O 92/02) meinte, es bestünden keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass ein durchschnittlicher Internetbenutzer beim Aufruf der mit ›schuelerhilfe.de‹ überschriebenen Seiten erwarte, ein nach pädagogischen Gesichtspunkten aufbereitetes lnformationsforum vorzufinden. Vielmehr stelle es eine internettypische Erfahrung dar, dass unterschiedlichste Inhalte ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit zur Kenntnis gebracht werden.

Die Folgen
Bei den genannten Entscheidungen zogen die Gerichte als Maßstab die Erwartung der Internetnutzer heran. Aber mit diesem Maßstab wurde unterschiedlich gemessen. Einerseits soll bereits die Enttäuschung der Erwartungen einiger Internetnutzer zur Irreführung führen und damit zur rechtswidrigen Nutzung der Domain. Das entspricht in der Tat den Vorgaben der Rechtsprechung zu §§ 1, 3 UWG. Aber wird man damit den Gegebenheiten im Internet gerecht?

Andererseits lassen sich, aus Sicht einiger Gerichte, verständige und aufgeklärte Internetnutzer, bei dem es sich zugleich wohl um den durchschnittlichen Internetnutzer handelt, nicht mehr verwirren, weil sie wissen, dass ihre Erwartungen im Internet kaum je erfüllt werden, weshalb eine Irreführung gerade nicht vorliegen soll.

Welches Maß ist aber das richtige? Zur Zeit muss man sich damit abfinden, dass die Gerichte unterschiedliche Auffassungen haben und diese in ihren Urteilen auch durchaus begründet umsetzen. Die Entscheidungen des OLG Frankfurt/M über die Domain drogerie.de und des LG Düsseldorf über schuelerhilfe.de machen aber deutlich, dass die Internetgemeinde bereits Fakten geschaffen hat, an denen die Gerichte kaum vorbei können. Das mag einem gefallen oder nicht.

Da das OLG Hamburg und das OLG Frankfurt/M bei der gleichen Frage zu unterschiedlichen Antworten gekommen sind, ist die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) für die frankfurter Berufungs-Entscheidung zugelassen worden, sie wurde jedoch nicht eingelegt. Damit bleibt die Rechtsfrage erst einmal offen und Rechtsunsicherheit bestehen.

Die Enscheidungen
OLG Frankfurt/M zu drogerie.de.

LG Frankfurt/M zu drogerie.de.

LG Düsseldorf zu schuelerhilfe.de.

OLG Nürnberg zu steuererklaerung.de.

OLG Hamburg zu rechtsanwalt.com.

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