UWG

LG Karlsruhe: im Internet Archiv (archive.org) gespeicherte Websites sind keine Werbung

Das Landgericht Karlsruhe hat aktuell entschieden, dass unterlassungsbeschwerte Internetinhalte, die im Internetarchiv archive.org gespeichert sind, keine schuldhafte Zuwiderhandlung darstellen und folglich keine Vertragsstrafe auslösen. Das Internetarchiv scheidet als Ort werblicher Maßnahmen aus.

Der Sachverhalt
In einem aus einer Widerklage hervorgegangenen Rechtsstreit vor dem LG Karlsruhe verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von EUR 7.500,–. Beide Parteien des Rechtsstreits sind unter anderem im Online-Marketing für Anwaltskanzleien tätig. Im März 2021 hatte die Klägerin die Beklagte wegen einer Werbeaussage auf ihrer Website abgemahnt. Die Beklagte übermittelte noch im März 2021 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, in der sie sich unter anderem verpflichtet, die Werbeaussage »12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing« solange zu unterlassen, solange sie weniger als 12 Jahre am Markt tätig ist. Sie verpflichtete sich zudem für den Fall der künftigen schuldhaften Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu zahlen. Auf die Unterlassungserklärung vom März 2021 antwortete die Klägerin im September 2022 und nahm sie an. Sie macht die Vertragsstrafe nun geltend unter Verweis auf einen auf den 27. November 2020 datierenden Auszug aus dem Webarchiv der US-amerikanischen Non-Profit-Organization Internet Archive (archive.org), die unter der »Wayback Machine« Inhalte des Internets chronologisch speichert. Den Auszug hatte die Klägerin im Februar 2021 abgerufen. Die Beklagte hält unter anderem entgegen, aufgrund des Zeitablaufs sei schon kein Unterlassungsvertrag zustande gekommen. Frühere Inhalte ihrer Website, die auf archive.org gespeichert seien, begründeten keine Verstöße, da die im Archiv abrufbaren Inhalte keine Werbung im Sinne des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellten.

Die Entscheidung
Das LG Karlsruhe wies die Klage mit der Begründung ab, dass in der Tat hier keine Werbung vorliege (LG Karlsruhe, Urteil vom 16.02.2023, Az. 13 O 2/23 KfH). Die Klage, so das Gericht, sei zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte verstoße nicht gegen die eingegangene Unterlassungsverpflichtung. Ein Unterlassungsvertrag sei zwischen den Parteien zustande gekommen, obwohl die Erklärung der Klägerin vom September 2021 knapp eineinhalb Jahre nach der im März 2020 abgegebenen Unterlassungserklärung erst abgegeben und zugegangen ist. Der Zeitverzug stehe einem Vertragsschluss nicht entgegen, weil anzunehmen ist, die Beklagte habe das Vertragsangebot unbefristet abgegeben; denn zur Vermeidung der Wiederholungsgefahr habe sie ein Interesse daran, dass der Vertrag auch noch nach der üblichen Annahmefrist angenommen werden kann.

Die Beklagte habe allerdings nicht gegen ihre Verpflichtung verstoßen, Werbung mit »12 Jahre Kanzleimarketing« zu unterlassen. Die Abrufbarkeit der vor der Erklärung der Unterlassungsverpflichtung von archive.org gespeicherten Website stelle keinen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung dar. Die Auffindbarkeit der früheren, zu unterlassenen Werbung falle schon nicht unter den Begriff der geschäftlichen Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, da die Speicherung in der Wayback-Machine der Archivierung dient und nicht der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen. Das Internet-Archiv wird von Dritten selbständig betrieben und ist von üblichen Internet-Suchmaschinen nicht durchsuchbar. Es sei so gut wie ausgeschlossen, so das »internetaffine Gericht«, dass die Beklagte Kunden gewinne, indem die alten Versionen ihrer Homepage zur Kenntnis und zum Anlass genommen werden, mit ihr geschäftlich in Kontakt zu treten. Entscheidend sei, dass eine solche Nutzung kein denkbarer Kanal zu Absatzförderung ist. Ein Werbeeffekt könne allenfalls dadurch eintreten, dass Marktteilnehmer zufällig oder aus völlig anderem Interesse heraus auf eine aus dem Netz genommene und von Dritten unveranlasst archivierte Seite stoßen. Das aber stelle keinen unmittelbaren und objektiven Marktbezug dar. Es sei völlig unzweifelhaft, dass es sich bei der archivierten Website nicht um eine aktuelle Selbstdarstellung des Unternehmens handele. Das Internet-Archiv scheide als Ort werblicher Maßnahmen in aller Regel aus. Weiter müsse der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs grundsätzlich nicht für das selbständig Handeln Dritter einstehen. Auf Dritte muss er nur einwirken, wenn deren Handeln ihm wirtschaftlich zu Gute kommt und bei denen er mit Verstößen ernstlich rechnen muss. Die unter archive.org archivierten veralteten Homepage-Versionen kommen dem Beklagten wirtschaftlich nicht zu Gute. Damit wies das LG Karlsruhe die Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen unter archive.org gespeicherter Websites der Beklagten ab.

In aller Regel
Damit sollte klar sein, dass archive.org als Ort werblicher Maßnahmen ausscheidet – in aller Regel, so das LG Karlsruhe. Wann diese Regel gebrochen wird, geht aus der Entscheidung nicht hervor. Sollte dem Gericht die Identität von »zuletzt« archivierter Webseiten mit der aktuellen Seite mit unterlassungspflichtigen Inhalten vorschweben, so scheint das sicher nicht zutreffend. archive.org ist ein Archiv, das Internetinhalte, wie sie sind, speichert. Folglich widerspräche die Änderung eines sich durch Aktualität auszeichnenden Archiv-Eintrags dem Sinn und Zweck von archive.org. Eine andere Ausnahme zur Regel fällt uns ad hoc nicht ein.

Auf das Domain-Recht spezialisierte Anwälte findet man auf Domain-Anwalt.de, einem Projekt der united-domains AG.

Kommentar schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, oder weitergegeben.
Bitte füllen Sie die gekennzeichneten Felder aus.*

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Der Domain-Newsletter von domain-recht.de ist der deutschsprachige Newsletter rund um das Thema "Internet-Domains". Unser Redeaktionsteam informiert Sie regelmäßig donnerstags über Neuigkeiten aus den Bereichen Domain-Registrierung, Domain-Handel, Domain-Recht, Domain-Events und Internetpolitik.

Mit Bestellung des Domain-Recht Newsletter willigen Sie darin ein, dass wir Ihre Daten (Name und E-Mail-Adresse) zum Zweck des Newsletterversandes in unseren Account bei der Episerver GmbH, Wallstraße 16, 10179 Berlin übertragen. Rechtsgrundlage dieser Übermittlung ist Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a) der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie können Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen, indem Sie am Ende jedes Domain-Recht Newsletters auf den entsprechenden Link unter "Newsletter abbestellen? Bitte einfach hier klicken:" klicken.

Top