Der Bundesgerichtshof hat vergangene Woche zunächst in einer Presseerklärung einen Beschluss über das Auskunftsrecht gegenüber Internet-Providern in Filesharing-Fällen mitgeteilt, der auf wenig Gegenliebe bei Fachjuristen stößt: Auch bei einzelnen Songs ist der Rechteinhaber berechtigt, Auskunft vom Internet-Provider zu verlangen (BGH, Beschluss vom 19.04.2012, Az.: I ZB 80/11). Mittlerweile liegt der Beschluss in ganzer Länge vor.
Antragstellerin ist ein Musikvertriebsunternehmen, das das ausschließliche Recht besitzt, die Tonaufnahmen eines Albums eines Musikers über Online-Tauschbörsen auszuwerten. Ein von der Antragstellerin beauftragtes Unternehmen ermittelte IP-Adressen, die Personen zugewiesen waren, die einen Titel des Albums über eine Online-Tauschbörse offensichtlich unberechtigt anderen Personen zum Herunterladen angeboten hatten. Der Internet-Provider, dem die dynamischen IP-Adressen zugewiesen sind, weigerte sich Auskunft (gemäß § 101 Abs. 9 UrhG in Verbindung mit § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG) über den Nutzer der IP-Adressen zu erteilen. Das Landgericht Köln lehnte den Auskunftsantrag ab (LG Köln, Beschluss vom 29.09.2011, Az.: 213 O 337/11). Das OLG in Köln wies den Antrag ebenfalls zurück, da das vom Gesetz für den Anspruch vorausgesetzte gewerbsmäßige Ausmaß nicht gegeben war (OLG Köln, Beschluss vom 02.11.2011, Az.: 6 W 237/11). Die Antragstellerin wandte sich an den Bundesgerichtshof, der dem Antrag stattgab. Der BGH sieht bei der Einstellung eines Songs in ein Filesharing-System das vom OLG Köln noch verneinte gewerbliche Ausmaß. Der BGH meint, weder das Gesetz noch seine Systematik sähe ein „gewerbliches Ausmaß“ als Voraussetzung für den Auskunftsanspruch vor; dem Rechteinhaber stehen Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz nicht nur gegen einen im gewerblichen Ausmaß handelnden Verletzer, sondern gegen jeden Verletzer zu, da er andernfalls ungeschützt wäre.
Die Entscheidung stößt unter Rechtsanwälten auf wenig Gegenliebe. Vielmehr sieht es danach aus, als hielte sich der BGH nicht an gesetzliche Vorgaben. Tatsächlich taucht der Begriff »gewerbliches Ausmaß« als Tatbestandsvoraussetzung mehrfach in § 101 Urheberrechtsgesetz auf, insbesondere wo es um Auskunftsansprüche geht. Rechtsanwalt Thomas Stadler (internetlaw.de) meint, die Auslegung des BGH entspreche nicht der Gesetzesbegründung, die eine doppelte Gewerbsmäßigkeit verlange, dernach sowohl die Rechtsverletzung ein gewerbliches Ausmaß erreichen als auch der Provider seine Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbringen müsse. Rechtsanwalt Tim Hoesmann (hoesmann.eu) sieht eine Überdehnung des Begriffs “gewerbliches Ausmaß”, die es nun möglich mache, ältere Werke oder auch nur einzelne Lieder gezielt abzumahnen. Dabei sei ein Gewerbe in der klassischen Auslegung eine wirtschaftliche Tätigkeit, die auf eigene Rechnung, eigene Verantwortung und auf Dauer mit der Absicht zur Gewinnerzielung betrieben werde. Im Hinblick auf Tauschbörsen sähen Juristen das generell kritisch, »da die wenigsten Tauschbörsennutzer einen wirklichen geldwerten Vorteil haben, geschweige denn einen Gewinn erzielen«. Rechtsanwalt Sebastian Dosch (klawtext.de) sieht ein Missverhältnis beim Schutz der Parteien: Während der BGH hier dem Rechteinhaber zusätzlichen Schutz gewährt, müsse der betroffene Internetanschluss-Inhaber in einem Gerichtsverfahren schlüssig darlegen können, dass der Vorwurf, von seinem Anschluss aus seien Urheberrechte verletzt worden, nicht stimmt. Dabei gäbe es erhebliche Zweifel in tatsächlicher und auch rechtlicher Hinsicht bezüglich der Ermittlung von IP-Adressen, die zum Teil eklatante Fehlerquoten von über 50 Prozent und mehr aufweisen. Für den Rechtsanwalt Udo Vetter (lawblog.de) schließlich stellt sich der BGH mit der Entscheidung eindeutig gegen das Gesetz, in dem vom gewerblichen Ausmaß als Voraussetzung für den Auskunftsanspruch die Rede ist. Er stellt auch die Frage, ob der Tauschbörsennutzer gewerblich handelt, also irgendwelche geldwerten Vorteile erlangt, der die Rechtsprechung sich verweigere, indem sie auf die „gewerblichen“ Interessen der Rechteinhaber abstelle. Jedenfalls sei der Begriff »gewerbliches Ausmaß« wegen des Grundrechts auf Telekommunikationsgeheimnis ins Gesetz eingeflossen. Der Auskunftsanspruch für die Rechteinhaber schränke dieses Grundrecht jedoch ein, weshalb nicht zu bestreiten sei, dass Bagatellverstöße nicht erfasst sein dürfen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass der Bundesgerichtshof eine Fehlentscheidung trifft, die er später, über einen langen Zeitraum, korrigieren muss. Wir hoffen, die Richter und wissenschaftlichen Mitarbeiter des Bundesgerichtshofes gelangen zu einer besseren Einsicht. Doch bis das der Fall ist, werden zahlreiche Filesharing-Abmahnungen ins Land gehen. Es bleibt zu wünschen, dass sich die Obergerichte, wie das OLG Köln, gegen die Entscheidung stellen.
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