Müssen Marken und Domains in gerichtlichen Entscheidungen anonymisiert werden? Mit dieser Frage hat sich das OLG Frankfurt in einem Beschluss vom 19.09.2019 (Az. 20 VA 21/17) eingehend befasst. Angestrebt wird eine grundsätzliche Klärung.
Die Antragstellerin war Partei eines Zivilprozesses, der einen markenrechtlichen Streit zum Gegenstand hatte. Sie hatte als Klägerin Ansprüche aus zwei Wortmarken gegen die Beklagte wegen des nach ihrer Auffassung rechtswidrigen Gebrauchs eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr geltend gemacht, war jedoch im Berufungsverfahren unterlegen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts übermittelte daraufhin der Dokumentationsstelle des Oberlandesgerichts eine Abschrift des Urteils, zusammen mit einem ausgefüllten Formblatt (Erfassungsbogen) und dem Hinweis, die Entscheidung sei geeignet zur Veröffentlichung in der Landesrechtsprechungsdatenbank (LaReDa) sowie bei juris. Das Urteil enthält mehrere Abbildungen des verletzenden Zeichens und der Produkte, auf denen dieses angebracht ist. Es nennt die Marken der Antragstellerin im vollständigen Wortlaut unter Angabe der jeweiligen Registernummern. Die Antragstellerin bat darum, von einer möglicherweise geplanten Veröffentlichung abzusehen; sie machte unter anderem geltend, dass das Urteil (damals) nicht rechtskräftig war und man über eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits verhandle. Der Leiter der Dokumentationsstelle ließ darauf eine »verschärft« anonymisierte Fassung des Urteils erstellen, in welcher neben der Entfernung des Rubrums zudem von der Wiedergabe von Bildern abgesehen wurde und die in der Begründung enthaltenen verfahrensbezogenen Eigennamen und Marken (einschließlich Registernummer) vollständig durch Platzhalter (z.B. »X«, »X1«, »X Y«) ersetzt wurden.
Damit war nun der Vorsitzende des Berufungsgerichts nicht einverstanden. Die entscheidungserhebliche Frage, welchen Bedeutungsgehalt der angesprochene Verkehr den Begriffen des von der Beklagten verwendeten Zeichens im Rahmen der konkreten Verwendungsform beimesse und ob dadurch Verwechselungsgefahr mit der Klägermarke begründet werde, lasse sich mit »X Y« und »X« nicht annähernd verdeutlichen. Der Leiter der Dokumentationsstelle fragte deshalb bei der Justiziarin der Präsidialabteilung des Oberlandesgerichts an, ob in dem vorliegenden Falle dem Wunsch des Vorsitzenden des Berufungsgerichts gemäß doch eine Veröffentlichung in unanonymisierter Form erfolgen könne. Sie antwortete, dass die Rechtspflicht der Gerichte zur Publikation ihrer Entscheidungen in einem Spannungsfeld zu schutzwürdigen Persönlichkeitsinteressen des Einzelnen stehe. In der Regel werde den Belangen des Datenschutzes und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dadurch Genüge getan, dass durch Anonymisierung Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Einzelnen nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden könnten. Es blieben aber Fälle, in denen trotz einer im Regelfall ausreichenden Anonymisierung aus dem Entscheidungsinhalt Rückschlüsse auf die Verfahrensbeteiligten gezogen werden könnten. Dies sei bei Marken- und Kennzeichnungsstreitigkeiten nahezu zwangsläufig der Fall; ähnliches gelte auch bei Streitigkeiten über Domain-Namen. Vorliegend erscheine das Informationsinteresse an einer Veröffentlichung der fraglichen Entscheidung von bedeutendem Gewicht, weil es sich um eine obergerichtliche Leitsatzentscheidung handele. Der Leiter der Dokumentationsstelle ließ daraufhin eine weitere, nunmehr weniger anonymisierte Fassung des Urteils erstellen, die er der Antragstellerin vorab übersandte. Daraufhin stellte die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG.
Mit Beschluss vom 19.09.2019 wies das Oberlandesgericht Frankfurt den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück. Aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folge die Verpflichtung der Gerichtsverwaltungen, veröffentlichungswürdige Entscheidungen zu publizieren. Welche Entscheidungen veröffentlichungswürdig sind, ist vorrangig aus der Sicht des mit der Entscheidung befassten Richters bzw. Spruchkörpers zu treffen, und von der Gerichtsverwaltung um diejenigen Entscheidungen zu ergänzen, an deren Veröffentlichung ein erkennbares öffentliches Interesse besteht. Schätzt der erkennende Richter bzw. ein Richter des erkennenden Spruchkörpers eine von diesem erlassene Entscheidung als veröffentlichungswürdig ein, ist die Gerichtsverwaltung an diese Einschätzung gebunden. An einer Veröffentlichungswürdigkeit ändert der Umstand nichts, dass die Antragstellerin einer Veröffentlichung widersprochen hat, denn ein Verfahrensbeteiligter kann eine Veröffentlichung von Entscheidungen nicht grundsätzlich ausschließen. In markenrechtlichen Streitigkeiten ist es grundsätzlich auch nicht zu beanstanden, wenn Abbildungen und Nennung von Marken und geschäftlichen Zeichen ebenso wie Registernummern der Marken nicht anonymisiert und neutralisiert werden, denn insoweit ist darauf abzustellen, ob eine solche Unkenntlichmachung sachlich überhaupt geboten ist. Einer Nutzung von Marken und Zeichen im geschäftlichen Verkehr ist deren Publizität immanent. Lediglich im Ausnahmefall kann, wenn überwiegende Rechte der Parteien durch die Weitergabe der Entscheidungsabschrift trotz Anonymisierung verletzt sein können, dem durch eine Unkenntlichmachung von Urteilspassagen über den üblichen Umfang der Anonymisierung hinaus oder im äußersten Fall durch einen Ausschluss der Veröffentlichung Rechnung getragen werden; ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor.
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung zugelassen und damit den Weg zum BGH freigemacht. Die Fragen, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidungen in markenrechtlichen Verfahren veröffentlicht werden können und ob dabei die Wiedergabe von Marken ohne Anonymisierung unter Nennung der Registernummern zulässig ist, sind nach Einschätzung des OLG von grundsätzlicher Bedeutung für die Veröffentlichungspraxis der Gerichte. Ob es jedoch zu einer Entscheidung des BGH kommt und wann diese gegebenenfalls ergeht, bleibt abzuwarten. Ein Aktenzeichen des BGH wurde öffentlich bisher nicht mitgeteilt.
Auf das Domain-Recht spezialisierte Anwälte findet man auf Domain-Anwalt.de, einem Projekt der united-domains GmbH.