Überraschende Wende im Fall des „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ (Zugangserschwerungsgesetz): am gestrigen Mittwoch fertigte Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz aus. Kaum in kraft, steht es jedoch politisch schon vor dem „Aus“.
Kinderpornographie? Internetsperren? Zensursula? Da war doch was! In der Tat, am 10. Juli 2009 hatte der Bundesrat das Zugangserschwerungsgesetz passieren lassen, das Diensteanbieter verpflichtet, die auf einer vom Bundeskriminalamt erstellten Liste vollqualifizierter Domain-Namen zu sperren und beim Zugriff mit Hilfe eines Stoppschilds den weiteren Datenabruf zu verhindern. Doch nach der Bundestageswahl wollte niemand von dem beschlossenen Gesetz wissen, obwohl es Bundespräsident Horst Köhler zur Unterzeichnung vorlag. Nach Recherchen von Spiegel Online war Köhler indes nicht untätig. In einem Schreiben des Präsidialamts aus dem November 2009 forderte Köhler von der Regierung „ergänzende Informationen“ und eine belastbare Aussage an, ob man an dem Gesetz festhalten wolle. Zwei Monate später lag ihm die Antwort der Regierung vor: „Die gegenwärtige Bundesregierung beabsichtigt eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornografischer Inhalte im Internet“, zitiert das Nachrichtenmagazin aus dem fünfseitigen Schreiben. Bis dahin werde man „auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen“.
Per Nichtanwendungserlass sollte nun offenbar das Gesetz auf das Abstellgleis geschoben werden. Rechtsstaatlich unproblematisch ist dieser Weg nicht, weil es nach dem Grundgesetz nicht Sache der Exekutive ist, über die Anwendung eines Gesetzes zu entscheiden. Gleichwohl tritt das Gesetz in wenigen Wochen mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft; wie das Bundespräsidialamt mitteilt, bestanden dort keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, die Köhler an einer Ausfertigung gehindert hätten. An feiner Ironie sparte Köhler jedoch nicht: „Der Bundespräsident geht davon aus, dass die Bundesregierung entsprechend ihrer Stellungnahme vom 4. Februar 2010 nunmehr „auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes“ Kinderpornographie im Internet effektiv und nachhaltig bekämpft.“, heißt es in einer Pressemitteilung. Eben das ist politisch gar nicht gewollt.
Folgerichtig gibt es bereits verschiedene Gesetzesinitiativen zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes. Wie der bloggende Rechtsanwalt Thomas Stadler meldet, liegen erste Initiativen der Grünen und der Linken vor; auch die SPD will einen eigenen Antrag einbringen. Während die Grünen als „actus contrarius“ ein schlichtes Aufhebungsgesetz fordern, wollen die Linken das Aufhebungsgesetz mit einer Änderung des Telemediengesetzes verbinden. Ob sich die Regierung dem Vorstoß der Opposition ausnahmsweise anschließt, ist derzeit aber offen.
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