Pressemitteilung

Bundesgerichtshof beschränkt in einem aktuellen Urteil Netzsperren auf Ausnahmefälle

Was sich in der mündlichen Verhandlung angedeutet hat, hat der BGH nun in einem Urteil vom 13. Oktober 2022 (Az. I ZR 111/21) bestätigt: Netzsperren sind grundsätzlich möglich, sollen aber auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.

Die Parteien streiten um eine Sperre von Internetseiten im Zusammenhang mit den Diensten »LibGen« und »Sci-Hub«. Die Klägerinnen betreiben weltweit führende Wissenschaftsverlage, darunter Publikationen wie »Nature« und »The Lancet«. Beklagte ist die Deutsche Telekom, die als Internetzugangsprovider für Endkunden agiert und Internetzugänge für andere Serviceprovider bereitstellt. Die Klägerinnen behaupten, sie hätten zur Identifizierung und Inanspruchnahme der Betreiber von »LibGen« und »Sci-Hub« erfolglos eine Vielzahl von Maßnahmen in die Wege geleitet. Die mutmaßliche Betreiberin von »Sci-Hub« trete zwar öffentlich auf, eine genaue Identifizierung dieser Person sei aufgrund ihres mutmaßlichen Wohnsitzes in Kasachstan jedoch nicht möglich. Auch ein Vorgehen gegen »LibGen« sei nicht möglich, zumal ein US-amerikanisches Unterlassungsurteil nicht vollstreckt werden könne und Abmahnungen an eMail-Adressen ohne Reaktion geblieben seien. Ein Vorgehen gegen die Host-Provider habe ebenfalls keine Erfolgsaussichten. Abmahnungen und Notifizierungsschreiben seien unbeantwortet geblieben. Teilweise würden die Host-Provider auch gewechselt oder es handle sich um sogenannte »Bullet-Proof«-Provider, bei denen die fehlende Kooperation mit den Behörden oder Rechteinhabern zum Geschäftsmodell gehöre. Daher verlangen sie nun von der Beklagten eine Sperre des Zugangs zu den Diensten »Lib-Gen« und »Sci-Hub« im Wege einer DNS-Blockierung. Das Landgericht München I gab der Klage statt, das OLG München hat sie hingegen abgewiesen. Es hat angenommen, die Klägerinnen hätten entgegen § 7 Abs. 4 TMG nicht alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft, der Verletzung ihrer Rechte abzuhelfen.

In seinem Urteil vom 13. Oktober 2022, dessen Begründung aktuell noch nicht veröffentlicht ist, hat der BGH diese Entscheidung des OLG München nun im Ergebnis bestätigt. Als Maßnahme der Sperrung komme die von den Klägerinnen begehrte DNS-Sperre in Betracht. Mit dieser werde die Zuordnung zwischen dem in die Browserzeile eingegebenen Domain-Namen und der IP-Adresse des Internetdiensts auf dem DNS-Server des Access-Providers verhindert, so dass der Domain-Name nicht mehr zur entsprechenden Internetseite führt, die allerdings unter ihrer IP-Adresse weiterhin erreichbar ist. Welche Anstrengungen zur Inanspruchnahme des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers zumutbar sind, sei eine Frage des Einzelfalls. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen innerhalb der Europäischen Union ansässige Betreiber oder Host-Provider habe der Rechtsinhaber grundsätzlich anzustrengen. Grundsätzlich zumutbare Anstrengungen können nur im Einzelfall unterbleiben, wenn ihnen aus vom Anspruchsteller darzulegenden Gründen jede Erfolgsaussicht fehlt. Ob den Klägerinnen im Streitfall zumutbar gewesen wäre, vor der Inanspruchnahme der Beklagten den Host-Provider der Internetdienste in Schweden gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, sei aber unklar, denn die getroffenen Feststellungen des OLG ließen offen, ob den Klägerinnen in Schweden ein Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Drittauskunft gegen den dort ansässigen Host-Provider zur Verfügung gestanden hätte. Gleichwohl konnte der BGH ohne Zurückverweisung selbst entscheiden, denn von den Klägerinnen sei jedenfalls der Versuch zu verlangen, vor einem deutschen Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung einen Auskunftsanspruch gegen den schwedischen Host-Provider geltend zu machen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete es nicht, den Klägerinnen durch eine Zurückverweisung die Möglichkeit zu verschaffen, bisher unterbliebene Ermittlungsmaßnahmen erst noch zu veranlassen.

Mit diesem neuerlichen Urteil bestätigt der BGH zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2015 (Az. I ZR 3/14 und I ZR 174/14). Seinerzeit hatte der BGH die Möglichkeit von Netzsperren grundsätzlich bejaht, wenn der Rechteinhaber zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die (wie der Betreiber der Internetseite) die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder (wie der Host-Provider) zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben.

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