Ist das Multistakeholder-Modell der Internet-Verwaltung in Gefahr? Das befürchten renommierte Web-Experten und rufen die Vereinten Nationen (UN) in einem offenen Brief dazu auf, dringend tätig zu werden.
Im September 2024 findet auf Betreiben der UN in New York der »Summit of the Future« statt. Neben dem »Pact for the Future« und der »Declaration on Future Generations« soll dort auch der »Global Digital Compact« (GDC) verabschiedet werden. Er geht zurück auf die Initiative »Our Common Agenda« des UN-Generalsekretärs António Guterres und definiert Leitlinien für das Internet und dessen Regulierung, ohne jedoch den Status eines völkerrechtlichen Vertrages zu genießen. Ziel ist eine »inclusive, open, sustainable, safe and secure digital future for all«, wie es im GDC heißt. Dazu benennt der GDC fünf Grundsätze, die zu verfolgen sind, darunter die Förderung einer verantwortungsvollen und gerechten internationalen Datenverwaltung sowie die Stärkung der »international governance of emerging technologies«. Hochrangige Experten, die an der Entwicklung des Internets beteiligt sind, darunter der Internetpionier Vint Cerf und Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, befürchten nun, dass hierbei der Multistakeholder-Ansatz der Internet-Verwaltung viel zu kurz kommt.
In einem offenen Brief vom 01. Juli 2024 wenden sie sich an die UN und machen geltend, dass der GDC in einem multilateralen Prozess zwischen Staaten entwickelt werde, wobei die offenen, integrativen und konsensorientierten Methoden, mit denen das Internet bisher entwickelt wurde, nur sehr begrenzt zur Anwendung kommen würden. Sie zeigen sich insbesondere besorgt, dass der GDC größtenteils von Regierungen geschaffen werde, die keinen Bezug zum Internet haben, wie es die Menschen auf der ganzen Welt derzeit erleben. Man sei sich durchaus bewusst, dass Regierungen ihre Verantwortung zum Schutz ihrer Bürger ernst nehmen und die mit dem Internet verbundenen Gefahren immer offensichtlicher werden, weshalb der Wunsch bestehe, durch Regulierung und Gesetzgebung zu handeln. Das Internet sei aber eine ungewöhnliche Technologie, weil es verteilt ist. Es bestehe aus vielen beteiligten Netzwerken, und jedes Netzwerk nehme aus seinen eigenen Gründen entsprechend seinen eigenen Bedürfnissen und Prioritäten teil. Der Kernsatz des Briefes lautet:
And this means, necessarily, that there is no center of control on the Internet.
Es gelte, das von unten nach oben aufgebaute, kollaborative und integrative Modell der Internet Governance aufrechtzuerhalten, das der Welt im letzten halben Jahrhundert gute Dienste geleistet habe. Eine stärker zentralisierte Steuerung – wie sie unter anderem die Internationale Fernmeldeunion (ITU) fordert – lehnen die Experten ab.
Die Methoden, mit denen das Internet bisher entwickelt wurde, seien aus Expertensicht beim GDC nur sehr begrenzt zur Anwendung gekommen. Sie bitten daher sicherzustellen, dass die Vorschläge im GDC mit der erfolgreichen Praxis der Internet Governance nach dem Multistakeholder-Modell im Einklang stehen; das sei die gemeinsame Verantwortung. Ob sich die Bedenken auch im GDC wiederfinden, werden wir im September erfahren.