Rund drei Wochen vor Beginn des »Summit of the Future« werden die Warnrufe zum Schutz des Multi-Stakeholder-Modells der Netzverwaltung lauter: Ende August 2024 hat sich auch die Internet-Verwaltung ICANN in einem offenen Brief zu Wort gemeldet.
Vom 20. bis 23. September 2023 findet in New York auf Initiative der Vereinten Nationen der »Summit of the Future« statt. Neben dem »Pact for the Future« und der »Declaration on Future Generations« soll dort auch der »Global Digital Compact« (GDC) verabschiedet werden. Anfang April 2024 wurde ein erster Entwurf (Zero-Draft) für den GDC vorgelegt; seither wurde er drei Mal überarbeitet. Die Verhandlungen rund um den GDC werden zum Teil scharf kritisiert, da sie weitgehend auf Ebene der UN-Mitgliedsstaaten stattfinden; die technische Community und die Zivilgesellschaft werden dagegen nur rudimentär eingebunden. Durch die fehlende Einbindung aller Interessengruppen gilt der Multi-Stakeholder-Prozess der Internet-Verwaltung als bedroht; befürchtet wird, dass an seine Stelle staatliche Zentralisierung, wie sie unter anderem die Internationale Fernmeldeunion (ITU) fordert, rückt. Hochrangige Experten, die an der Entwicklung des Internets beteiligt sind, darunter die Internetpioniere Vint Cerf und Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, hatten daher bereits im Juli 2024 in einem offenen Brief vor dieser Entwicklung gewarnt:
And this means, necessarily, that there is no center of control on the Internet.
Nun hat sich auch die Internet-Verwaltung ICANN nochmals in die Debatte eingeschaltet und ebenfalls einen offenen Brief verfasst, der von Alexey Trepykhalin, bei ICANN zuständig für Government and IGO Engagement, veröffentlicht wurde. Darin betont ICANN, dass der Erfolg des Internets das Ergebnis einer Reihe von Faktoren sei, zu denen auch das seit langem etablierte Multi-Stakeholder-Modell der Internet Governance gehört, das 2005 in der Tunis-Agenda des »World Summit on the Information Society« und in der Resolution 70/125 der UN-Generalversammlung verankert wurde. Die technische Community, deren wichtigster Teil ICANN bilde, sei ein Kernbestandteil dieses Modells, denn sie habe einen stabilen, sicheren und widerstandsfähigen Betrieb des Internets gewährleistet. Man erkenne dabei auch die entscheidende Rolle der Regierungen und ihre Beiträge an, insbesondere unter Einbeziehung des ICANN-Regierungsbeirats Governmental Advisory Committee (GAC). Man ermutige aber dazu, im GDC die Unterstützung des Multi-Stakeholder-Modells als den anpassungsfähigsten, umfassendsten und effektivsten Ansatz für die Internet Governance zu bekräftigen. Indem man diesen aufrechterhalte, stelle man sicher, dass das Internet weiterhin als Katalysator für Innovation, Inklusivität, Wirtschaftswachstum und globale Konnektivität für alle diene.
In der Debatte um den GDC hatte sich zuvor auch die .de-Verwalterin DENIC eG zu Wort gemeldet. Gemeinsam mit anderen Branchenschwergewichten wie GoDaddy, Identity Digital, Public Interest Registry, Nominet und der .au Domain Administration (auDA) veröffentlichte die DENIC ein Statement, in dem man als Teil der technischen Community Bedenken in Bezug auf Intransparenz des gesamten GDC-Prozesses äußerte. Es sei unklar, ob und inwieweit die bisher übermittelten Stellungnahmen wirksam und sinnvoll zum GDC-Zero-Entwurf und seinen nachfolgenden Überarbeitungen beigetragen hätten. Trotz der breiten Unterstützung für eine Multi-Stakeholder-Internet-Governance in allen Stakeholder-Konsultationen und des starken Engagements vieler Mitgliedsstaaten bestehe die Gefahr, dass diese Unterstützung nicht ausreichend berücksichtigt werde. Zugleich fordere man eine zusätzliche, zeitnahe und sinnvolle Einbindung der Multi-Stakeholder-Gemeinschaft und eine klare Angabe, wie deren Beiträge in die Ergebnisse integriert würden. Nur durch die regelmäßige und sinnvolle Einbindung aller Interessengruppen könne man dessen erklärtes Ziel der »shared principles for an open, free and secure digital future for all« erfolgreich erreichen.