Zwischen den USA und der EU zieht ein digitaler Sturm auf: nach Einschätzung von Wolfgang Kleinwächter, emeritierter Professor für Internet-Politik und Regulierung an der Universität Aarhus, ist die Welt mehr denn je von einer harmonisierten globalen digitalen Rechtsordnung entfernt.
Es ist noch gar nicht lange her. Am 28. April 2022 haben die Europäische Union, die USA und über 60 weitere internationale Partner die »Declaration for the Future of the Internet« verabschiedet. Die von den USA initiierte Erklärung zur Zukunft des Internets ist zwar nur eine politische Erklärung, in der die Vertragsparteien aber immerhin ihr Engagement für den Schutz und die Achtung der Menschenrechte im Internet sowie in der gesamten digitalen Welt bekräftigen. Gestützt wird sie auf fünf Prinzipien, nämlich »Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms«, »A Global Internet«, »Inclusive and Affordable Access to the Internet«, »Trust in the Digital Ecosystem« und »Multistakeholder Internet Governance«, wobei jedes dieser Prinzipien in verschiedene Unterpunkte untergliedert ist. Keine drei Jahre später scheinen selbst solch rechtlich unverbindliche Erklärungen unerreichbar. Mit dem Memorandum Defending American Companies and Innovators From Overseas Extortion and Unfair Fines and Penalties vom 21. Februar 2025 haben die USA nach Einschätzung Kleinwächters stattdessen eine digitale Kriegserklärung vorgelegt, da die EU die umfangreichsten Regularien für die digitale Welt erlassen und in den vergangenen Jahren Bußgelder in Millionenhöhe gegen US-amerikanische Tech-Riesen verhängt hat.
In der Sorge um ihre digitale Unabhängigkeit und Souveränität hätte vor allem die EU eine Vorreiterrolle eingenommen, wie Kleinwächter in einem Standpunkt-Artikel für die Tageszeitung »Tagesspiegel« darlegt. Seit 2020 wurden mehr als ein Dutzend Gesetze zur Regelung des digitalen Raums mit mehr als 1.500 Textseiten verabschiedet: mit dem Digital Service Act (DSA), dem Digital Market Act (DMA), dem Digital Resilience Act (DRA), der Richtlinie über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der gesamten EU (Network and Information Security 2, kurz: NIS-2), dem Media Freedom Act (MFA), dem Data Governance Act (DGA) und zuletzt dem »EU AI Act« im Jahr 2024 habe die EU eine hochentwickelte Rechtsordnung etabliert. Chinesen und Amerikaner seien aber in den Bereichen Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Online-Handel, digitale Plattformen und künstliche Intelligenz dem Rest der Welt enteilt; diesen Vorsprung aufzuholen, indem man einen fairen Wettbewerbsrahmen für alle schafft, habe bislang nur bedingt Erfolg. Mit dem Antritt der Trump-Administration sei das ohnehin alles Schnee von gestern. Trump setze bei »America First« primär auf die amerikanischen Tech-Konzerne, und die würden europäische Regulierungen als eine inakzeptable Beeinträchtigung ihres Aktionsradius sehen.
Die EU sei in einer komplizierten Lage, ein in fünf Jahren aufgebautes digitales Regulierungsgebäude sei in seinen Grundfesten erschüttert. Aber auch europäische Internetunternehmen würden unter der Vielzahl der digitalen Regularien stöhnen. Um die Details zu verinnerlichen, brauche es ganze Rechtsabteilungen, was sich viele klein- und mittelständige Unternehmen aus Kostengründen nicht leisten können. Wird also in Kürze das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts übertrumpfen? Prof. Kleinwächter ist wenig positiv gestimmt: Europas digitaler Zukunft stehen stürmische Zeiten bevor.