Die EU-Kommission verleiht ihrer Forderung nach einer Internationalisierung der Netzverwaltung Nachdruck: ein neuer Reformvorschlag soll für mehr Transparenz in Sachen Internet Governance sorgen und den US-Einfluss auf ICANN zurückdrängen.
Offenbar unter dem Eindruck der Veröffentlichungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden und vor dem Hintergrund eines geringer werdenden Vertrauens in das Internet sieht sich die Kommission verpflichtet, ihre Rolle als ehrlicher Makler bei künftigen Verhandlungen über die globale Netzverwaltung zu intensivieren. In einer Pressemitteilung vom 12. Februar 2014 teilte Neelie Kroes, Vize-Präsident der EU-Kommission und EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, mit, dass sich die EU dem »multi-stakeholder«-Modell der Internet-Verwaltung verpflichtet fühle und dieses nachhaltig unterstütze. Die kommenden beiden Jahre würden daher wegweisend sein, wenn es um eine Neuzeichnung der Landkarte der »Internet Governance« geht. Grundfreiheiten und Menschenrechte seien jedoch nicht verhandelbar, und müssen auch online geschützt werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt die EU-Kommission gleich eine ganze Reihe konkreter und umsetzbarer Maßnahmen vor. An erster Stelle steht die Schaffung eines klaren Zeitplans für die Globalisierung von ICANN und den IANA-Funktionen, ohne die Sicherheit und Stabilität des Domain Name Systems (DNS) zu gefährden. Dabei spricht die Kommission ausdrücklich auch das »Affirmation of Commitments« an, eine Art Grundlagenvertrag, mit dem die US-Regierung der Internet-Verwaltung ICANN unter anderem die Hoheit über das DNS übertragen hat. Die aktuellen Enthüllungen stellen demnach das US-zentrierte Modell der Netzverwaltung in Frage und verlangen nach einem sanften Übergang zu einem globaleren und transparenteren Modell. Wie genau dieses Modell nach Vorstellungen der EU aussehen soll, lässt sich den veröffentlichten Unterlagen jedoch nicht entnehmen. Zudem spricht sich die Kommission auch für eine Stärkung des Internet Governance Forum (IGF) aus; das IGF ist jedoch lediglich als Diskussionsplattform für die Themen der Internet Governance gedacht und hat nur beratende Funktionen. Eine Absage erteilte Kroes der Forderung nach mehr Kontrolle durch die International Telecommunications Union; zwar komme Regierungen eine wesentliche Rolle zu, aber das Top-down-Prinzip gebe in diesem Fall nicht die richtigen Antworten.
Mit diesen Reformvorschlägen bezieht die EU-Kommission im Vorfeld mehrerer hochrangig besetzter Konferenzen zum Thema »Internet Governance« Position, darunter das von ICANN-CEO Fadi Chehadé mitinitiierte »Net Mundial – Global Multistakeholder Meeting on the future of Internet Governance« Ende April 2014 in Sao Paulo und dem IGF-Meeting Anfang September 2014 in der Türkei. Ob die EU-Kommission bis dahin auch konkrete Praxisvorschläge für eine Reform von ICANN folgen lässt, bleibt abzuwarten; mit der bisher nahezu geräuschlosen Delegierung einer Vielzahl von neuen Domain-Endungen lässt zumindest ICANN Taten statt Worte für sich sprechen.