Das WWW im Spannungsfeld zwischen Technik und Politik – diesem Thema widmet sich die Internet Governance. Prof. Wolfgang Kleinwächter, emeritierter Professor für internationale Kommunikationspolitik und Regulierung der Universität Aarhus, gibt im Blog der .de-Verwalterin DENIC eG einen aktuellen Überblick.
Henry Kissinger, der inzwischen verstorbene ehemalige Außenminister der USA, soll einst gesagt haben: »Wen rufe ich denn an, wenn ich Europa anrufen will?« Er konnte sich daran zuletzt zwar nicht mehr erinnern, aber das Bonmot beschreibt ein Problem, das auch für die Internet Governance gilt: das Internet hat aufgrund seiner dezentralen Struktur keinen Präsidenten und keine Präsidentin, noch nicht einmal ein Büro, das man anrufen kann. Unter dem Begriff der Internet Governance werden nach dem Verständnis der Bundesregierung (eine weltweit einheitliche Definition gibt es nicht) vielmehr Maßnahmen zusammengefasst, die den Zugang, die Stabilität und die Offenheit des Internets sicherstellen sollen. Das umfasst technische Aspekte wie die weltweite Vergabe von IP-Adressen und die Registrierung von Domain-Namen ebenso wie Themen von grundsätzlicher Bedeutung, darunter Datensicherheit, Künstliche Intelligenz und Netzneutralität. Hierzu gibt es Plattformen wie zum Beispiel das Internet Governance Forum der Vereinten Nationen (IGF) samt nationaler Ableger (IGF-D), die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und den Global Digital Compact (GDC). Dementsprechend schwer fällt es, den Überblick zu behalten. Hier setzt das monatliche DENIC-Update von Prof. Wolfgang Kleinwächter, einem der renommiertesten Kenner der Internet-Governance, an.
In seinem Rückblick auf die Entwicklungen im Internet Governance-Umfeld im Juli 2024 berichtet Prof. Kleinwächter zunächst vom Global Digital Compact (GDC). Der GDC geht zurück auf die Initiative »Our Common Agenda« des UN-Generalsekretärs António Guterres; er definiert Leitlinien für das Internet und dessen Regulierung, ohne jedoch den Status eines völkerrechtlichen Vertrages zu genießen. Seine dritte Fassung wurde an die 193 UN-Staaten verteilt; am 17. Juli 2024 brachen mehr als zehn Staaten, darunter die EU, USA, Russland und die G77, das »Schweigen«. Damit gilt der Text als abgelehnt; es folgen nun weitere informelle Konsultationen zu den kontroversen Paragraphen. Seit dem 23. Juli 2024 ist zudem die Registrierung für das 19. IGF möglich, das im Dezember 2024 in Riad stattfindet. Am 26. Juli 2024 wurde in der »IGF WG Strategy« ein informelles Positionspapier zur Zukunft des IGF nach 2025 vorgestellt; diskutiert wird unter anderem, ob nach 2025 das IGF in eine formelle Organisation umgewandelt werden und einen neuen Namen erhalten soll. Am 29. Juli 2024 begann ferner in New York die vorerst letzte Verhandlungsrunde zur Ausarbeitung einer UN-Konvention gegen Cyberkriminalität. Vertreter der Wirtschaft und die Zivilgesellschaft hatten sich bei einer Expertenkonferenz kritisch geäußert; der bisherige Entwurf enthalte viele vage Formulierungen, insbesondere bei der Definition von Straftaten, bei Sicherungen von Menschenrechten sowie bei der Gewährleistung rechtsstaatlicher Verfahren bei der Strafverfolgung. Schließlich fand am 07. Juli 2024 in Astana das Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) statt. In der Schlusserklärung wird auf die Schlüsselrolle der UNO bei der Stärkung von Cybersicherheit verwiesen und der Abschluss von völkerrechtlich bindenden Verträgen sowohl zu Cyberkriminalität als auch zu internationaler Cybersicherheit gefordert; das Prinzip der nationalen Cybersouveränität müsse als Grundprinzip bekräftigt werden.
Man darf sich nichts vormachen: Internet Governance bleibt ein sperriges und mühsames Thema, aber ein nicht minder spannendes und wichtiges. Wer ein globales, dezentrales, freies, offenes und interoperables Internet will, das dem Multi-Stakeholder-Modell der Internet-Verwaltung verpflichtet ist, kommt an ihr nicht vorbei. Umso mehr lohnt es sich, den regelmäßigen Berichten von Prof. Kleinwächter zu folgen.