Internet Governance

Plädoyer für »Internet-Citizenship«

Das aktuelle Weltgeschehen stellt einmal mehr das Multi-Stakeholder-Modell der Netzverwaltung vor besondere Herausforderungen. In seinem Artikel »It’s Time for a Better Vision of Internet Governance: From Multistakeholderism to Citizenship« versucht sich Klaus Stoll an einem Reformvorschlag.

Die Diskussion um das Multi-Stakeholder-Modell der Internetverwaltung, also der Einbindung von Vertretern aus Politik, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft mit dem Ziel, einvernehmlich Entscheidungen zu treffen, ist fast so alt wie das Internet selbst. Ein solcher »Multilayer-Multiplayer-Mechanismus«, wie er aktuell von ICANN praktiziert wird, fordert ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis und Rücksichtnahme, was oft lange Entscheidungsprozesse bedingt. In den Zeiten globaler Herausforderungen, wie sie zum Beispiel eine Pandemie oder ein Krieg in der Ukraine mit sich bringen, stößt dieser »Multistakeholderism« nach Ansicht von Klaus Stoll aber an Grenzen. Stoll, der selbst seit 2003 in der Non-Commercial Stakeholders‘ Group bei ICANN aktiv ist, zeigt sich zwar angesichts des Charakters des Internets als global geteilte Ressource, geschaffen und verwaltet durch die Privatwirtschaft, als Anhänger des Multi-Stakeholder-Modells. Im Vergleich zur Staatsangehörigkeit innerhalb einer Demokratie sieht Stoll aber gravierende Nachteile:

The common goal is to enable the well-being of all. We miss all of this in multistakeholderism.

So basiere die Demokratie auf Menschenrechten, das Multi-Stakeholder-Modell auf Partikularinteressen. Auch seien alle Bürger gleich, was aber nicht für Interessensgruppen gelte. Ferner hänge die Fähigkeit zur Partizipation von Verfügbarkeit, Zeit und wirtschaftlichen Möglichkeiten ab, während in der Demokratie die Pflicht bestehe, eine Beteiligung aller sicherzustellen.

Als Alternative zum Multi-Stakeholder-Modell schlägt Stoll deshalb die Transformation zur »Citizenship» vor. Sie erfordere eine »Digital Bill of Rights«, in der grundlegende Prinzipien basierend auf »common human rights« festgelegt werden, um Integrität und Vertrauen in das Ökosystem des Internets herzustellen. Zudem spricht sich Stoll für ein »digital Citizenship Curriculum« aus; die Menschen müssten wissen, was es bedeute, ein »digital citizen« zu sein. Dies sei eine globale Aufgabe, welche Engagement auf allen Ebenen in allen Sektoren erfordere. Weiter fordert er die Einrichtung einer »Digital Integrity Industry«. Die neue Generation digitaler Unternehmen müsse das Bedürfnis nach wörtlicher wie digitaler Integrität und Umweltschutz mit Verbraucherschutz und sozialer Verantwortung von Unternehmen kombinieren. Schließlich müssten die Regierungen lernen, dass ihre nationalen Bürger auch Bürger des Cyberspace seien, über Staatsgrenzen hinaus. Es bedürfe eines »global agreement on global internet governance«. Man müsse weg vom »wer soll regieren« zum »welche Prinzipien regieren jene, die verwalten«.

Probleme im Multi-Stakeholder-Modell hat vor Stoll schon Prof. Wolfgang Kleinwächter, renommierter Experte für Internet-Governance, 2018 herausgearbeitet. So steigt etwa der Anteil der Regierungen, die auf »My country, first«, »Cybersovereignty« und »National Internet Segment« setzen, was als Modell des »neonationalistic Unilateralism« existierende Rechte und Freiheiten im Internet untergräbt. Allerdings dürfte der aktuelle Vorstoß von Stoll angesichts der politischen Entwicklungen in der Ukraine eher verdrängt als nach vorne geschoben werden – das Hemd sitzt eben doch näher als der Rock.

Kommentar schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, oder weitergegeben.
Bitte füllen Sie die gekennzeichneten Felder aus.*

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Der Domain-Newsletter von domain-recht.de ist der deutschsprachige Newsletter rund um das Thema "Internet-Domains". Unser Redeaktionsteam informiert Sie regelmäßig donnerstags über Neuigkeiten aus den Bereichen Domain-Registrierung, Domain-Handel, Domain-Recht, Domain-Events und Internetpolitik.

Mit Bestellung des Domain-Recht Newsletter willigen Sie darin ein, dass wir Ihre Daten (Name und E-Mail-Adresse) zum Zweck des Newsletterversandes in unseren Account bei der Episerver GmbH, Wallstraße 16, 10179 Berlin übertragen. Rechtsgrundlage dieser Übermittlung ist Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a) der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie können Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen, indem Sie am Ende jedes Domain-Recht Newsletters auf den entsprechenden Link unter "Newsletter abbestellen? Bitte einfach hier klicken:" klicken.

Top