Die Brüsseler EU-Kommission hat sich in die Debatten um die Zukunft der Internet-Verwaltung ICANN eingeschaltet. Die für die Informationsgesellschaft und Medien zuständige Kommissarin Viviane Reding forderte die US-Regierung auf, ICANN ab Herbst vollständig zu privatisieren.
Im September 2006 verständigten sich das US-amerikanische Handelsministerium und ICANN darauf, den Übergang der Netzverwaltung in den privaten Sektor einzuleiten. Diese als Joint Projekt Agreement (JPA) bekannte Vereinbarung endet zum 30. September 2009 und hat nun neuerlich die Diskussionen um die Zukunft ICANNs entfacht. „Mit dem 30. September dieses Jahres, wenn das derzeitige Abkommen zwischen ICANN und der US-Regierung ausläuft, kommt ein Moment der Wahrheit. Dann öffnet sich die Tür für eine vollständige Privatisierung der ICANN und wird gleichzeitig die Frage aufgeworfen, wem die ICANN ab dem 01. Oktober Rechenschaft ablegen soll.“, so Reding in ihrer wöchentlichen Videoansprache. „Die Entscheidung der Clinton-Regierung, das System der Internet-Namen und -Adressen schrittweise zu privatisieren, war die einzig richtige.“
Zugleich stellte Reding ein neues Modell der Internet-Governance vor. Im Mittelpunkt dieses Modells stehen zwei Komponenten: so benennt Reading zum einen die Forderung nach einer vollständig privatisierten und unabhängigen ICANN, die – insbesondere im Hinblick auf Transparenz in finanziellen Fragen und interne Rechenschaftspflicht – nach strengsten Corporate Governance-Normen arbeitet und einer wirksamen justiziellen Überprüfung unterliegt. Zum anderen schlägt Reding als eine Art „G12 der Internet-Governance“ die Schaffung eines multilateralen Forums vor, das Regierungen die Möglichkeit bietet, über allgemeine Fragen der Internet-Governance zu diskutieren. Besetzt sein soll das Forum mit jeweils zwei Vertretern von Nordamerika, Südamerika, Europa und Afrika, drei Vertretern von Asien und Australien sowie dem Vorsitzenden der ICANN als Mitglied ohne Stimmrecht.
Bei ICANN selbst dürfte Reding mit diesen Worten zumindest in Teilen auf fruchtbaren Boden stoßen. So hatte ICANN-Aufsichtsratsvorsitzender Peter Dengate-Thrush bereits Anfang 2008 in einer Rede vor dem US-Handelsministerium den Übergang in die Privatisierung angemahnt. Ob dagegen eine Art „G 12“ als Oberaufsicht fungiert und damit die USA sämtliche Fäden aus der Hand geben werden, gilt als unwahrscheinlich; eine klare Positionierung der US-Regierung unter Präsident Obama steht noch aus.