Überraschende Wende im Streit um den Verkauf der .org-Verwalterin Public Interest Registry (PIR) an den Finanzinvestor Ethos Capital: die Internet-Verwaltung ICANN wird nicht vor Mitte Februar 2020 entscheiden, ob die Zustimmung zum »change of control« erteilt oder ausnahmsweise versagt wird. Parallel wurden weitere Hintergründe des Deals bekannt.
Kurz vor Weihnachten 2019 hatte ICANN-CEO Göran Marby offenbar auf öffentlichen Druck hin mit der Nachricht aufhorchen lassen, die wechselnden Gesellschaftsverhältnisse bei PIR sorgfältig prüfen lassen zu wollen. Maßstab ist ein hierfür im Registry-Vertrag vereinbarter »standard of reasonableness«; was darunter zu verstehen ist, ist juristisch noch nicht geklärt, denn bisher gab es keinen Fall, in dem ICANN die Zustimmung versagt hat. Zugleich rief Marby PIR, den bisherigen PIR-Alleingesellschafter Internet Society (ISOC) und Ethos Capital dazu auf, den Inhaberwechsel transparent durchzuführen. Auch dort blieb man vom öffentlichen Druck nicht verschont und hat inzwischen in einer teilweise anonymisierten Stellungnahme weitere Details zu der komplexen Transaktion bekanntgegeben. So wird aus der gemeinnützigen PIR künftig die gewinnorientierte Public Interest Registry LLC. Deren Gesellschaftsanteile erwirbt nicht Ethos Capital direkt, sondern die neu gegründete Purpose Domains Direct LLC, eine Tochtergesellschaft der ebenfalls neu gegründeten Purpose Domains Holdings LLC. Beide Gesellschaften werden von Ethos Capital gesteuert; die Namen der handelnden Personen in der Geschäftsleitung wurden bisher aber noch nicht öffentlich.
Weitere Informationen gab es auch zur Finanzierung des mittlerweile bestätigen Kaufpreises von US$ 1,135 Mrd. Ein Anteil von US$ 360 Mio. wird über Kredite durch »U.S. financial institutions« finanziert, die in keiner Verbindung zu Ethos Capital stehen; die Rückzahlung der Kredite aus dem Cash-Flow soll dabei die Hälfte von dem kosten, was PIR bisher jährlich an die ISOC abführen musste. Den Rest des Kaufpreises finanzieren ungenannte »equity partners«. Offiziell bestätigt ist nun auch, dass mindestens drei ehemalige Mitarbeiter von ICANN in die Transaktion eingebunden sind: neben dem ehemaligen ICANN-CEO Fadi Chehade sind dies seine vormalige Assistentin Nora Abusitta-Ouri und Allen Grogan, der vormals als Chief Contract Compliance Officer für ICANN tätig war. Diese Fülle an neuen Informationen und Unterlagen scheint auch ICANN überrascht zu haben. Am 17. Januar 2020 teilte die Internet-Verwaltung mit, dass die bisher mit 30 Tagen anberaumte Prüffrist um weitere 30 Tage verlängert wird und daher nun erst am 17. Februar 2020 endet. Dabei betont ICANN, dass man zum derzeitigen Zeitpunkt eine Zustimmung weder gebe noch zurückhalte, jedoch zusätzliche Unterlagen angefordert habe.
Für zusätzlichen Druck sorgt ein Schreiben von Mitgliedern des US-Kongresses vom 16. Januar 2020, das mit einer eindeutigen Empfehlung endet:
We urge you to reject this private equity takeover of the .ORG registry.
Zur Begründung heißt es:
The Ethos Capital takeover of the .ORG domain fails the public interest test in numerous ways: it threatens the quality and reliability of .ORG websites, and could severely limit access to these domains via price increases and arbitrary censorship.
Prominenteste Unterzeichnerin dieses Schreibens dürfte die Demokratin Elizabeth Warren sein; die Professorin an der Harvard Law School und vehemente Kritikerin von US-Präsident Donald J. Trump tritt aktuell in der Vorwahl ihrer Partei für die Präsidentschaftskandidatur 2020 an. ICANN hat sich dazu öffentlich noch nicht geäußert.