nTLDs

Wird ICANN durch »Registry Voluntary Commitments« (RVCs) zur Content-Polizei?

Wie weit soll die Macht von ICANN reichen? Milton Mueller, Professor am Georgia Institute of Technology, weist in einem aktuellen Aufsatz auf ein Problem hin, das viele Bewerbungen um eine neue Domain-Endung beeinflussen könnte.

Wie unsere Stammleser wissen, regelt ICANN das Domain Name System (DNS) auf der Grundlage des Abschlusses von Verträgen mit Registries und Registraren. Die Verträge verpflichten die Registries und Registrare zu bestimmten Praktiken und zur Zahlung von Gebühren. Die Verträge wiederum werden von der Multistakeholder-Community im Rahmen eines kollektiv verbindlichen, öffentlichen Prozesses entwickelt. Durch dieses auf dem Privatsektor basierenden System vermeidet ICANN eine Kontrolle der Internet-Infrastruktur durch nationale Regierungen, die zu autoritären Beschränkungen und/oder einer Zersplitterung der Zuständigkeiten neigen könnten. Das spiegelt sich auch in den Statuten von ICANN wieder, die den Auftrag von ICANN darauf begrenzen, den stabilen und sicheren Betrieb des DNS zu gewährleisten; eine darüber hinausgehende Regulierungsbefugnis soll ICANN nicht erhalten. Allerdings lassen die Statuten auch Ausnahmen zu, von denen unter anderem im Rahmen von »Registry Voluntary Commitments« (RVCs), vormals bekannt als »Public Interest Commitments« (PICs), Gebrauch gemacht wurde. Dabei fügten Registries ihren Verträgen Verpflichtungen im öffentlichen Interesse hinzu, in denen sie versprachen, ihre Namen so zu verwalten, dass sie insbesondere das Governmental Advisory Committee (GAC), das Vertretungsorgan der Nationalstaaten innerhalb ICANNs, zufriedenstellen.

Im Prinzip könnte es bei RVCs um alles Mögliche gehen. Problematisch ist nach Ansicht von Milton Mueller aber nun zum einen, dass sich die Bewerber um eine neue Top Level Domain Vorteile davon versprechen könnten, sich freiwillig Beschränkungen zu unterwerfen. Eine Registry, die Einwände der Lobby des geistigen Eigentums vermeiden will, könnte versprechen, den Inhabern von Urheberrechten besondere Befugnisse zu geben, um Domains zu überwachen oder zu sperren. Eine Registry, die auf dem chinesischen Markt Fuß fassen will, könnte sich verpflichten, keine Webseiten zuzulassen, die den Vorfall vom 04. Juni auf dem Platz des Himmlischen Friedens erwähnen, oder keinen Bezug auf die Proteste in Hongkong zuzulassen. Zum anderen würde ICANN damit in die Rolle gedrängt, diese freiwilligen Beschränkungen durchsetzen zu müssen. ICANN müsste also Inhalte und Dienste im Internet regulieren, obwohl das ein direkter und offensichtlicher Verstoß gegen den eigenen begrenzten Auftrag sei. ICANN könne nach Ansicht von Mueller allerdings nicht die Durchsetzung solcher RVCs übernehmen, ohne gegen die eigenen Statuten zu verstoßen – eine laut Mueller schreckliche Auswirkung auf den Prozess des Multistakeholder-Modells, da diese freiwilligen Verpflichtungen der Willensbildung der Community entzogen sind. Der ICANN-Vorstand könne sagen:

Hmmm, es gab eine Reihe von Leuten, die Einwände gegen Ihre Bewerbung hatten oder Lobbyarbeit dagegen betrieben haben, aber wir sehen, dass alle diese Einwände verschwunden sind, nachdem Sie ein RVC hinzugefügt haben, das Sie dazu verpflichtet, das zu tun, was die potenziellen Einwender von Ihnen verlangen. Deshalb werden wir Ihren Antrag jetzt genehmigen.

ICANN werde so zur Internet-Polizei, die diese Beschränkungen durchsetzen soll.

Mueller sieht RVCs deshalb als grundlegenden Fehler im Bewerbungsverfahren für neue TLDs. Anstatt klare, einfache Regeln für die diskriminierungsfreie Vergabe neuer TLDs festzulegen, habe ICANN einen bürokratischen Morast von Vorschriften und Vetorechten geschaffen. Das Schicksal einer Bewerbung werde nicht durch vorhersehbare Regeln bestimmt, alles liege im Ermessen, und insbesondere der GAC wolle in der Lage sein, ein Veto einzulegen oder Bewerbungen und Namen zu ändern, die ihm nicht gefallen. Man solle niemals die Fähigkeit des ICANN-Vorstands, des GAC und des kurzfristigen Eigeninteresses der DNS-Industrie unterschätzen, die Dinge zu vermasseln.

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