Die Internet-Verwaltung ICANN stösst mit ihren Plänen zur Einführung zahlreicher neuer Top Level Domains auf erheblichen Widerstand in der US-Regierung: sowohl das US-Handelsministerium als auch die Kartellbehörde werfen ICANN Versäumnisse im Management vor, die einen raschen Start neuer Domain-Endungen unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Botschaft ist unmissverständlich: In einem dreiseitigen Schreiben vom 18. Dezember 2008, gerichtet an den ICANN-Aufsichtsratsvorsitzenden Peter Dengate-Thrush, fordert Meredith Baker vom US-Handelsministerium ICANN auf, vor der Einführung neuer Top Level Domains eine Wirtschaftlichkeitsstudie vorzulegen, deren Fertigung bereits im Oktober 2006 beschlossen worden war. Auch wenn man die Arbeit und Mühen ICANNs insbesondere am Bewerberhandbuch schätze, so ist für das Ministerium unklar, ob die Vorteile für die Verbraucher die mit einer Erweiterung verbundenen Kosten übersteigen. Baker ruft daher einen Vorstandsbeschluss vom 18. Oktober 2006 in Erinnerung, wonach ICANN eine Studie zu diversen Fragen einzuholen hat; zu klären ist beispielsweise, ob der TLD-Markt einheitlich oder für jede Endung getrennt zu betrachten sei, welche Auswirkungen auf den Markt und den Preis von Domains die Einführung neuer Endungen habe und ob bei der Registrierung die Endungen untereinander austauschbar sind oder nicht. Zugleich gibt Baker der Internet-Verwaltung eine Liste mit „Hausaufgaben“ mit auf den Weg, die zu erledigen und im Bewerberhandbuch umzusetzen sind, bevor ICANN den Einführungsprozess fortführt. Mit anderen Worten: ohne ein überarbeitetes Bewerberhandbuch keine neuen Top Level Domains.
Noch deutlicher formuliert die US-Kartellbehörde ihre Kritik. Demnach sei die Einführung neuer TLDs entgegen der Ankündigung ICANNs ungeeignet, die Marktmacht existierender Endungen wie insbesondere .com zu schmälern. ICANN müsse daher zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Wettbewerb im größtmöglichen Umfang sicherzustellen. Hierzu gibt die Behörde zwei konkrete Empfehlungen: zum einen müssten die Interessen der Verbraucher stärker Berücksichtigung finden, zum anderen müsse ICANN auch Wettbewerb zwischen den TLD-Betreibern etwa im Rahmen auslaufender Verträge sicherstellen, um günstigere Preise für die Verbraucher zu ermöglichen. Die Ermittlungen der Behörde hätten ergeben, dass Endungen wie .biz und .info, aber auch Länderendungen wie .uk und .de bisher keine echte Alternative zu .com und damit zur Marktmacht von VeriSign böten; .info würde gar meist nur im Paket mit .com verkauft werden, nicht dagegen als so genannte „stand alone“ Top Level Domain. Zudem kritisiert man, dass Domains unter neuen Endungen nur registriert würden, weil die Inhaber dazu gezwungen wären, um etwa eigene Kennzeichenrechte zu wahren. Der Schlussatz klingt wie eine Ohrfeige: die Kartellbehörde glaubt nicht, dass es ICANN bisher annähernd gelungen sei, seiner Verpflichtung zur Etablierung von Wettbewerb unter den TLD-Betreibern nachgekommen zu sein.
Eine öffentliche Reaktion von ICANN auf diese Schreiben liegt bisher nicht vor. Ob ICANN allerdings den für das 2. Quartal 2009 angekündigten Start der Einführung neuer Top Level Domains noch halten kann, muss mehr denn je bezweifelt werden.