Zieht die Internet-Regierung ICANN vom kalifornischen Marina del Rey ins belgische Brüssel? In einer offziellen Anfrage an US-Handelsminister Carlos Gutierrez wollen gleich mehrere Mitglieder des US-Repräsentantenhauses die Zukunft von ICANN geklärt wissen.
Schon seit einigen Jahren schwirren Gerüchte durch die Netzwelt, wonach ICANN seinen Sitz ins Ausland verlegen soll. Diese räumliche Trennung von den USA soll zugleich auch die Unabhängigkeit der im Oktober 1998 gegründeten und bisher dem US-Wirtschaftsministerium unterstellten Internet-Verwaltung von den USA dokumentieren. Konkrete Umzugspläne sind nicht öffentlich bekannt, auch wenn das Drängen auf mehr Eigenständigkeit zuletzt deutlich zunahm. Offenbar beunruhigt von der unklaren Faktenlage und vor dem Hintergrund, dass im September 2009 das „Joint Project Agreement“ (JPA) zwischen der US-Regierung und ICANN endet, haben sich nun Edward Markey und John Dingell zusammen mit 14 weiteren Kollegen in einem Brief an den US-Handelsminister Gutierrez gewandt, um ihrer Sorge vor grundlegenden Änderungen bei ICANN Ausdruck zu verleihen.
In ihrem Brief vom 6. Mai 2008 betonen sie zunächst, dass ICANN seit über einem Jahrzehnt eine wesentliche Rolle bei der Sicherheit und Stabilität des Internets spielt. Dabei hat ICANN eine Reihe von Änderungen durchlaufen, angefangen von einer Repräsentanz für alle Internetnutzer hin zu einer koordinierenden Einrichtung, die Regelungen und Prozesse schafft, die das Internet reibungslos funktionieren lassen. Doch auch wenn immer noch mehr Transparenz und Rechenschaft bei ICANN gefragt ist, so darf sich nach Ansicht von Markey und Dingell das US-Wirtschaftsministerium weder jetzt noch in Zukunft aus der Oberaufsicht zurückziehen und ICANN der Privatwirtschaft überlassen. Unter Setzung einer Frist von zwei Wochen fordern sie den Minister auf, sich zu erklären, ob er an der Oberaufsicht festhalte, in welcher Weise man dies tun wolle, ob die Root Server weiterhin in den USA verbleiben und wie man sicherstellt, dass ICANN seinen Hauptsitz unverändert innerhalb der USA hält. Es steht zu vermuten, dass mit dieser Anfrage das Tauziehen um ICANN hinter den Kulissen kräftig an Fahrt gewinnt; bereits im Juni anlässlich des nächsten ICANN-Meetings in Paris wird erneut Gelegenheit sein, die Zukunft intensiv zu diskutieren.
Im Rahmen der „Mid Term Review of the Joint Project Agreement“ der NTIA (National Telecommunications and Information Administration) hat sich übrigens auch die deutsche Domain-Verwaltung DENIC eG im Februar 2008 zu Wort gemeldet. Die DENIC betont in ihrer Stellungnahme ihre Unterstützung für das Konzept der industriellen Selbstregulierung, das zur Schaffung von ICANN geführt hat.