Die .com-Registry VeriSign Inc. lässt mit einem überraschenden Vorstoß aufhorchen: anlässlich einer von ICANN geleiteten Telefonkonferenz wurde der Vorschlag laut, Beschwerdeverfahren gemäß der Uniform Rapid Suspension (URS) auch für weitere generische Domain-Endungen wie .com und .net einzuführen.
Mit der Einführung neuer Top Level Domains hat ICANN auch eine Alternative zum Verfahren nach der Uniform Domain-Name Dispute Resolution Policy (UDRP) geschaffen. Das URS-Verfahren ist für Inhaber von Markenrechten gedacht, um – anders als die UDRP – keine Übertragung, sondern eine Suspendierung einer markenverletzenden Domain zu erreichen. Beim Aufruf der Domain wird lediglich eine Platzhalterseite des Streitbeilegungsanbieters angezeigt. Nach dem Ablauf des Registrierungszeitraums kann die Domain wieder durch Dritte registriert oder die Suspendierung durch den Beschwerdeführer für ein Jahr kostenpflichtig verlängert werden; Inhaber der Domain wird er jedoch auch im Erfolgsfall nicht. Durch verringerte Anforderungen ist das URS-Verfahren nur für offensichtliche Missbrauchsfälle konzipiert; daher darf die Beschwerdeschrift nur 500 Worte umfassen. Anders als bei der UDRP ist zudem nur ein Panelist vorgesehen, der durch den Streitbeilegungsanbieter auszuwählen ist. Bisher gilt das URS-Verfahren aber nur für nTLDs und eine Handvoll anderer Domain-Endungen wie – seit kurzem – .org, nicht aber für .comund .net-Domains.
Das könnte sich allerdings bereits in Kürze ändern. Anlässlich einer Konferenz der »Right Protection Mechanisms PDP working group« am 25. August 2020 schlug David McAuley, Policy Manager bei VeriSign, vor, URS zur »consensus policy« für alle generischen Top Level Domains zu machen. Wörtlich sagte McAuley:
Doing this – making URS consensus policy – would greatly enlarge application of what has become an important and effective tool for addressing trademark infringement and, in doing that, it also addresses other forms of abuse that can be carried along by infringing cybersquatting domains.
Der Vorstoß kommt überraschend, da VeriSign erst kürzlich den Verwalter-Vertrag für .com neu verhandelt und verlängert hat; die Anwendung des URS-Verfahrens ist darin nicht vorgesehen, obwohl es ICANN vorgeschlagen hatte. Über die Gründe für den Sinneswandel wird daher spekuliert; so könnte VeriSign daran Interesse haben, die US-Regierung gewogen zu stimmen, da man dort den Schutz von Markeninhabern immer wieder betont. Ausserdem könnte VeriSign darauf abzielen, rechtliche Fragen rund um eine Domain in die Hände eines Schiedsgerichts zu legen, um nicht selbst schwierige Entscheidungen treffen zu müssen.
Heftige Kritik an diesen Absichten äußerte Zak Muscovitch, General Counsel des Lobbyverbands Internet Commerce Association. Zwar räumt er ein, dass das URS-Verfahren in der Bekämpfung von Phishing oder Spamming effektiv sein kann; gerade die verringerten rechtlichen Hürden könnten Markeninhaber aber dazu verleiten, missliebige Domains auf diesem Weg kostengünstig abzuschalten. Des Weiteren seien die Entscheidungen der URS-Panels oft fragwürdig, weshalb das URS-Verfahren auch unbeliebt sei. Ob ICANN diese Bedenken teilt, ist offen; vorläufig ist man sich im Sinne der »consensus policy« also nur einig, dass man sich uneinig ist.