BGH

Netzsperren können im Einzelfall gerechtfertigt sein

Netzsperren sind grundsätzlich möglich, sollen aber auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Mit dieser Tendenz schloss der Bundesgerichtshof am 23. Juni 2022 eine mündliche Verhandlung, in der um die Verpflichtung der Deutschen Telekom zur Einrichtung von Sperren für Webseiten gestritten wurde (Az. I ZR 111/21).

Die Parteien streiten um eine Sperre von Internetseiten im Zusammenhang mit den Diensten »LibGen« und »Sci-Hub«. Die Klägerinnen betreiben weltweit führende Wissenschaftsverlage aus den USA, Großbritannien und Deutschland, darunter Publikationen wie »Nature« und »The Lancet«. Die Beklagte, die Deutsche Telekom, ist ein Telekommunikationsunternehmen aus Bonn, das selbst als Internetzugangsprovider für Endkunden agiert und Internetzugänge für andere Serviceprovider bereitstellt. Die Klägerinnen behaupten, sie hätten zur Identifizierung und Inanspruchnahme der Betreiber von »LibGen« und »Sci-Hub« erfolglos eine Vielzahl von Maßnahmen in die Wege geleitet. Die Betreiber von »LibGen« hätten nicht identifiziert werden können. Die mutmaßliche Betreiberin von »Sci-Hub« trete zwar öffentlich auf, eine genaue Identifizierung dieser Person sei aufgrund ihres mutmaßlichen Wohnsitzes in Kasachstan jedoch nicht möglich. Eine Rechtsverfolgung sei nicht erfolgversprechend, was sich auch daran zeige, dass ein US-amerikanisches Schadensersatzurteil über 15 Mio. US-Dollar gegen sie nicht vollstreckt werden könne. Auch ein Vorgehen gegen »LibGen« sei nicht möglich, zumal auch dort ein US-amerikanisches Unterlassungsurteil nicht vollstreckt werden könne und Abmahnungen an eMail-Adressen ohne Reaktion geblieben seien. Ermittlungen in Russland, wo die Verantwortlichen zu vermuten seien, seien nicht erfolgversprechend. Ein Vorgehen gegen die Host-Provider habe ebenfalls keine Erfolgsaussichten. Abmahnungen und Notifizierungsschreiben blieben unbeantwortet. Teilweise würden die Host-Provider auch gewechselt oder es handle sich um sogenannte »Bullet-Proof«-Provider, bei denen die fehlende Kooperation mit Behörden oder Rechteinhabern zum Geschäftsmodell gehöre. Daher verlangen sie nun von der Beklagten eine Sperre des Zugangs zu den Diensten »Lib-Gen« und »Sci-Hub« im Wege einer DNS-Blockierung.

Das Landgericht München I hat der Klage mit Urteil vom 25. Oktober 2019 (Az. 21 O 15007/18) stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht München das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Mai 2021 – Az. 29 U 6933/19). Es hat angenommen, die Klägerinnen hätten entgegen § 7 Abs. 4 TMG nicht die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft, der Verletzung ihrer Rechte abzuhelfen. Es sei ihnen zumutbar gewesen, vor Inanspruchnahme der Beklagten den in der Europäischen Union (Schweden) ansässigen Host-Provider der beiden Internetdienste gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, um anschließend mit den erlangten Informationen gegen die Betreiber der Internetdienste vorzugehen. Mit der (erst) vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre Anträge weiter, so dass nun der BGH darüber zu entscheiden hat, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsinhaber von den Internetzugangsanbietern die Sperrung des Zugangs zu Internetseiten beanspruchen können. Am 23. Juni 2022 fand die mündliche Verhandlung statt. Wie das Gericht entscheidet, blieb offen; der Vorsitzende Richter Thomas Koch betonte aber:

»Eine Sperrung ist das letzte Mittel.«

Es bestehe die Gefahr, dass auch der Zugang zu legalen Inhalten gesperrt würde. Die Beklagte verwies erneut darauf, dass auch mit DNS-Sperren die Verbreitung von Inhalten nicht unterbunden werde. Auch habe der Internetzugangsanbieter keinen Einblick in die Inhalte der Webseiten. Zudem sei unklar, wie lange und für welche Werke die Sperren gelten sollten.

Der Bundesgerichtshof will eine Entscheidung am 13. Oktober um 08:30 Uhr verkünden. Erste Hinweise ergeben sich aus zwei Entscheidung des BGH vom 26. November 2015 (Az. I ZR 3/14 und I ZR 174/14). Damals hatte der BGH die Möglichkeit von Netzsperren grundsätzlich bejaht, wenn der Rechteinhaber zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die (wie der Betreiber der Internetseite) die Rechtsverletzung selbst begangen haben oder (wie der Host-Provider) zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben. Wann das der Fall ist, hängt vom Einzelfall ab.

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