Die Hartnäckigkeit hat sich für den Schweizer DNS-Resolver-Betreiber Quad9 ausgezahlt: mit Urteil vom 06. Dezember 2023 (Az. 14 U 503/23) hat das OLG Dresden entschieden, dass Quad9 nicht verpflichtet ist, es zu unterlassen, bestimmte .to-Domain-Namen aufzulösen. Damit wurde die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben; die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Klägerin – die Sony Music Entertainment Germany GmbH – ist eine deutsche Tonträgerherstellerin. Sie begehrte von der beklagten Quad9, einer Stiftung mit Sitz in der Schweiz, die Unterlassung, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland das Musikalbum »The Bitter Truth« der US-Band Evanescence öffentlich zugänglich zu machen, indem Quad9 einen DNS-Resolver-Dienst zur Verfügung stellt, der den Kunden eine Übersetzung von Domains in numerische IP-Adressen zur Verfügung stellt, so dass es mit Hilfe dieser numerischen IP-Adressen möglich ist, eine bestimmte Domain zu erreichen und dort Verlinkungen auf rechtswidrige Speicherungen des vorgenannten Albums aufzurufen. Vereinfacht ausgedrückt, ist ein DNS-Resolver ein Softwaremodul, dass auf dem Rechner eines DNS-Teilnehmers installiert ist. Es hilft dem Internetnutzer dabei, Domains in numerische IP-Adressen aufzulösen. Die Systeme von Quad9 werden von schätzungsweise mehreren Millionen Endnutzern verwendet, darunter Einzelpersonen, Schulen, Internet-Provider und Regierungsbehörden. Unter der streitigen Domain canna.to wurden Musikinhalte gelistet und kategorisiert. Die Domain selbst war nicht in Deutschland registriert Auch die Links, auf die verwiesen wurde, befanden sich auf Servern, die sich ebenfalls nicht in Deutschland befanden. Gleichwohl bestätigte das Landgericht Leipzig mit Urteil vom 01. März 2023 (Az. 5 O 807/22) den Unterlassungsanspruch. Quad9 hafte als Täterin aus §§ 97 Abs. 1, 15, 19a, 85 UrhG, weil sie Internetnutzern ihren DNS-Resolver zur Verfügung stelle und darüber auf die Seiten des Dienstes canna.to mit den rechtsverletzenden Downloadangeboten betreffend das streitgegenständliche Musikalbum verwiesen wird. Hiergegen wandte sich Quad9 mit seiner Berufung, über die das OLG Dresden zu entscheiden hatte.
Das OLG Dresden gab der Berufung statt, hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage insgesamt ab. Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 97 Abs. 1 UrhG wegen einer täterschaftlich begangenen öffentlichen Wiedergabe in Gestalt eines öffentlichen Zugänglichmachens im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3, § 19a UrhG besteht gegenüber der Beklagten als DNS-Resolver nicht. Eine Haftung als Täter scheide bereits mangels einer zentralen Rolle des DNS-Resolvers bei der Veröffentlichung des urheberrechtlich geschützten Materials aus. Würde der bloße Umstand, dass die Nutzung einer Plattform erforderlich sei, damit die Öffentlichkeit das Werk tatsächlich abrufen könne, oder sogar schon der Umstand, dass die Plattform den Abruf lediglich erleichtere, automatisch dazu führen, dass das Tätigwerden des Plattformbetreibers als »Handlung der Wiedergabe« einzustufen wäre, würde jede »Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken«, eine solche Handlung darstellen, was der 27. Erwägungsgrund der Urheberrechtsrichtlinie explizit ausschließe. Die Beklagte stellt mit dem DNS-Resolver ein jedermann kostenfrei zugängliches, im Allgemeininteresse liegendes und gebilligtes Werkzeug zur Verfügung, das rein passiv, automatisch und neutral bei der Konnektierung von Domains mitwirkt. Auch eine Störerhaftung lehnte das OLG Dresden unter Hinweis auf § 8 Abs. 1 TMG ab. DNS-Resolver sind von der Rechtsverletzung weiter entfernt als Access Provider. Access Provider fallen aber unbestritten unter den Haftungsausschluss von § 8 Abs. 1 TMG. Würde man die DNS-Abfrage nicht haftungsfrei stellen, würde das dazu führen, dass Access Provider in ihrer Eigenschaft als Anbieter eines rekursiven DNS-Resolvers doch haften würden. Des Weiteren hat die Klägerin den Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet, da sie die Unzumutbarkeit weiterer Bemühungen oder die Aussichtslosigkeit einer vorrangigen Inanspruchnahme der unmittelbaren Verletzter, Webseitenbetreiber oder Hostprovider, nicht detailliert dargelegt hat. Der Klägerin waren zumindest die Postanschrift und eMail-Adressen des Host-Providers in Litauen und der Ukraine bekannt.
Die Revision hat das OLG Dresden nicht zugelassen. Das Urteil beruhe auf der Umsetzung anerkannter Auslegungs- und Rechtsanwendungsgrundsätze auf einen Einzelfall. Quad9 feierte daher den Tag der Urteilsverkündung als einen positiven Moment in den Bemühungen um die Erhaltung des Internets als neutrale und vertrauenswürdige Ressource für alle. Etwas zittern muss Quad9 allerdings noch, denn Sony kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bundesgerichtshof Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Ob Sony diesen Schritt geht, ist öffentlich bisher nicht bekannt.