Der Streit um die Domain amadeus.co führte zu einer komplexen UDRP-Entscheidung, bei der drei WIPO-Panelisteninnen mit unterschiedlichen Meinungen zu drei unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Die spanische Amadeus IT Group S.A. ist ein weltweit agierender Anbieter von Technologiedienstleistungen und -lösungen für den Reisesektor. Gegründet 1987, ist sie Inhaberin zahlreicher nationaler und internationaler Marken »Amadeus«, so auch in Kolumbien, den USA und international, und Domain-Namen wie amadeus.com samt .de-, .es- und .mx-Variante. Sie sieht ihre Rechte durch die kolumbianische Domain amadeus.co verletzt. Deren US-amerikanischer Inhaber, Narendra Ghimire, Deep Vision Architects, ist Domain-Investor und kaufte die Domain amadeus.co im Oktober 2021 für US$ 800,–. Über Afternic.com stand die Domain zeitweise zum Verkauf. Mit verschiedenen Schreiben über den Registrar der Domain amadeus.co versuchte die Amadeus IT Group, zum Domain-Inhaber erfolglos Kontakt herzustellen. Schließlich startete sie ein UDRP-Verfahren vor der WIPO, in dem sie unter anderem vortrug, dass der Gegner Inhaber von mehr als 100 Markenrechte verletzenden Domains sei, wie roaring.us, pliant.us, camarillo.us u.s.w. Der Gegner erklärte, er sei seit 2013 als Domain-Investor tätig. Die Domain hätte zwischen dem 19. Juli und 04. Oktober 2021 zum Verkauf gestanden, und er hätte sie dann für US$ 800,– erworben. Es handele sich um einen allgemeinen Begriff, der in erster Linie mit Wolfgang Amadeus Mozart in Zusammenhang gebracht werde. Es gäbe über tausend Unternehmen, die den Begriff »Amadeus« im Namen tragen und noch mehr mit entsprechenden Marken. Er habe vor dem Abmahnschreiben von der Gegenseite nichts gewußt; es bestünde ja keine Pflicht, auf solche Schreiben zu antworten. Er beantragte die Feststellung eines Reverse Domain Name Hijacking (RDNH). Die Entscheidung des Falles übernahm ein Dreier-Panel der WIPO, bestehend aus dem britischen Rechtsanwalt Steven A. Maier als Vorsitzendem sowie der spanischen Rechtsanwältin Reyes Campello Estebaranz und dem britisch-australischen Juristen und Mediator Alan L. Limbury als Beisitzer.
Das Entscheidertrio konnte sich uneiniger kaum sein: Maier sah keinen Anspruch für die Beschwerdeführerin, aber auch kein RDNH. Limbury sah ebenfalls keinen Anspruch der Beschwerdeführerin, aber ein RDNH, und Campello Estebaranz sah den Anspruch der Beschwerdeführerin bestätigt und keinen Raum für RDNH (WIPO Case No. DCO2022-0040). Hinsichtlich der Identität von Domain und Marke waren sich alle einig, die sei gegeben. Maier und Limbury begründeten das Bestehen eines Rechts bzw. eines berechtigten Interesses des Gegners an der Domain mit der weitverbreiteten Nutzung des Namens »Amadeus« bei Personen und Unternehmen. Allein im Vereinigten Königreich gäbe es 140 Unternehmen, die den Bestandteil »Amadeus« im Namen tragen. Aufgrund dieses Umstandes allein sah sich die Mehrheit des Panels nicht in der Lage, anzunehmen, der Gegner hätte die Beschwerdeführerin und ihre Marken im Sinn, als er die Domain registrierte. Die Beschwerdeführerin habe keine Belege vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Gegner ihre Marke anpeilte. Maier und Limbury akzeptierten auch, dass der Gegner die Domain registrierte, um sie zu verkaufen, aber dass er dabei eben nicht die Beschwerdeführerin im Blick hatte, sondern allgemein Nutzer des Begriffes. Die aufgeführten weiteren vom Gegner registrierten Domains sprächen eher zu seinen Gunsten als gegen ihn. Ein Fall von Cybersquatting sei bei diesen Domains nicht ersichtlich. Damit sprach nichts gegen ein Recht oder berechtigtes Interesse des Gegners an der Domain amadeus.co. Auch eine Bösgläubigkeit beim Registrieren und Nutzen der Domain auf Seiten des Gegners vermochten sie nicht festzustellen. Aus diesen Gründen wiesen sie die Beschwerde der Amadeus IT Group ab.
Bei der Frage nach einem RDNH gingen die Meinungen von Maier und Limbury auseinander: Limbury sah die Beschwerde als Missbrauch der UDRP, da die Beschwerdeführerin hätte wissen müssen, dass der Begriff »Amadeus« so weitläufig bei Unternehmen verbreitet ist und sie deshalb keine Chance haben würden. Maier hingegen meinte, die Beschwerdeführerin habe sich an ihren zahlreichen Marken orientiert, weshalb ihre Aussagen nicht missbräuchlich seien; eine Beschwerde sei daher nachvollziehbar, wenn nicht gar korrekt.
Ganz anders sah Campello Estebaranz diese Angelegenheit und brachte ihre abweichende Meinung – notwendigerweise – umfangreich zur Geltung. Im Wesentlichen ging es ihr um die Bekanntheit der Beschwerdeführerin, ihre weitverbreiteten Marken insbesondere in Kolumbien und den USA, und ihre weltweiten Aktivitäten im Bereich Reisedienstleistungen, die sie seit über 30 Jahren betreibe, unter anderem unter amadeus.com. Zudem sei sie vielfach Ziel von Cybersquatting. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner als Domainer sie bei Registrierung der Domain nicht kannte, er keine Markenrecherche betrieben habe, falle zu seinen Ungunsten aus. Er habe ihre Marken zumindest kennen müssen. Campello Estebaranz gibt weitere Argumente, die sie letztlich dazu führt, hier einen Fall von Cybersquatting zu sehen, weshalb sie der Beschwerde stattgegeben hätte. Zugleich sah sie keinen Raum für ein RDNH.
Tatsächlich ist dies ein besonders spannender Fall, der sich – wie vom Panel mehrmals erwähnt – in Grauzonen bewegt, die zu dem einen wie dem anderen Ergebnis führen können. Die einzelnen Argumentationen im Original zu lesen, lohnt sich.
Auf das Domain-Recht spezialisierte Anwälte findet man auf Domain-Anwalt.de, einem Projekt der united-domains GmbH.