UDRP

Ermittelt die WIPO von Amts wegen?

Ein Schiedsgericht, das sich die Beweismittel selbst beschafft und die Parteien darüber im Unklaren lässt: der Streit um die Domain 4chan.com hat eine ungewöhnliche Praxis der Genfer WIPO aufgedeckt. Und vorerst wird sie sich auch nicht ändern.

Dispositionsmaxime – dieser Ausdruck bezeichnet den Grundsatz in zivilprozessualen Verfahren, wonach ein Rechtsstreit vor Gericht grundsätzlich durch die Parteien beherrscht wird. Er beinhaltet beispielsweise das Recht der Parteien, den Streitgegenstand festzulegen und über ihn zu verfügen. Damit grenzt er sich von der Amtsermittlung ab, wie sie etwa in Strafverfahren üblich ist und Behörden verpflichtet, umfassende eigene Nachforschungen anzustellen. Bisher war es allgemeine Meinung, dass auch im Verfahren der Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy (UDRP) die Dispositionsmaxime gilt. Doch in einer aktuellen Entscheidung hat ausgerechnet das Schiedsgericht der World Intellectual Property Organisation (WIPO) selbst zu erkennen gegeben, dass es in seiner Praxis davon abweicht. Auslöser war der Streit um die Domain 4chan.com (Case No. D2014-0484), in dem sich die Domain-Inhaberin Oversee Domain Management LLC gegen die Markeninhaberin 4chan LLC durchsetzen konnte. Soweit, so gewöhnlich. Für Aufsehen sorgte jedoch ein Satz in der Begründung des aus drei Panelisten bestehenden Schiedsgerichts: »The Center generated, as it does as a matter of standard practice, a screenshot of the website associated with the disputed domain name following Respondent’s filing of the Complaint.« Demnach ist es bei der WIPO üblich, mit Eingang der Klage selbst Screenshots jener Website zu erstellen, die mit der streitigen Domain verbunden sind. Die Parteien erhalten hierüber keine Nachricht, wissen also nicht, was auf dem Screenshot zu sehen ist.

Der US-Rechtsanwalt und UDRP-Veteran John Berryhill kritisiert diese Praxis mit deutlichen Worten. Das UDRP-Schiedsgericht ist nach den einschlägigen Regelungen nicht berechtigt, selbst ermittelnd tätig zu werden. In »Rule 12« sei beispielsweise geregelt, dass die Entscheidung auf Grundlage der Klage, der Klageerwiderung und allen Informationen, welche das Panel von den Parteien angefordert habe, ergehe. Für »geheime Beweise« sei daher kein Raum. Darüber hinaus sei es ein Prinzip westlicher Juristerei, dass die beklagte Partei Zugang zu allen Beweisen hat, die gegen sie verwendet werden sollen. Daneben stößt diese Praxis auch deshalb auf Bedenken, weil viele Internetseiten mit einem Geo-Target versehen sind; wer also die Domain von den USA aus aufruft, erhält möglicherweise andere Inhalte präsentiert als ein Besucher aus der Schweiz. Inhalte von Adressen wie zum Beispiel pandora.com können von Deutschland aus gar nicht aufgerufen werden. Daneben können unter anderem die Browser-Chronik oder Cookies die angezeigten Inhalte beeinflussen.

Die WIPO hat ihre Praxis gegenüber Berryhill inzwischen ausdrücklich bestätigt und damit gerechtfertigt, dass man verifizieren wolle, dass alle im Rahmen des Angebots angegebenen Kontakte über das Verfahren informiert werden. Dieses Argument kann jedoch kaum überzeugen, da eine Impressumspflicht in vielen Ländern nicht besteht. Vor allem aber geht es vorrangig um die Domain, und für die Domain ist grundsätzlich der Inhaber erster Ansprechpartner, wie er sich aus dem WHOIS ergibt. Es gibt jedoch keine Anzeichen, dass die WIPO von ihrer Praxis abweichen will. Die Parteien eines UDRP-Verfahrens sind daher gut beraten, künftig vorsorglich einen eigenen Screenshot anzufertigen und mit ihrem Schriftsatz einzureichen.

Auf das Domain-Recht spezialisierte Anwälte findet man auf Domain-Anwalt.de, einem Projekt der united-domains AG.

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