Ein WIPO-Panel hat im Streit um die Domain tessin.ch gegen die Antragstellerinnen entschieden. Es stellte sich heraus, dass die vom Kanton Tessin beauftragten und antragstellenden Tourismusorganisationen nicht aktivlegitimiert waren und keine eigenen Rechte geltend machen konnten (Verfahren Nr. DCH2010-0007).
Die WIPO (World Intellectual Property Organization) und deren Arbeit im Bereich der Domain-Schiedsgerichtsbarkeit ist vielen bekannt. Dass diese Arbeit nicht ausschließlich anhand der UDRP (Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy) erfolgt und generische Endungen betrifft, sondern auch gut 60 Länderendungen, unter denen sich unter anderem auch .ch (Schweiz) und .li (Liechtenstein) finden, ist selbst Kennern der Materie nicht immer bewusst. Das mag auch dazu führen, dass in diesem Jahr bisher nur ein .ch-Fall entschieden wurde, der seit 2004 der siebte überhaupt ist. Dieser weist allerdings von Antragstellerseite her höchst wagen Aktionismus auf.
Die Gesuchsstellerinnen sind eine Unternehmung, die aufgrund gesetzlicher Regelung damit beauftragt ist, den Tourismus zu fördern und touristische Aktivitäten im Kanton Tessin zu koordinieren, sowie eine Aktiengesellschaft mit dem Ziel, in Zusammenarbeit mit kantonalen Organisationen touristische Daten zu verwalten und weiter zu verteilen. Die Gesuchsgegnerin registrierte tessin.ch 1997 und informiert unter dieser Domain über verschiedene Freizeit- und Tourismusangebote im Tessin. Die Gesuchsstellerinnen sahen hier seitens der Domain-Inhaberin eine Namensrechtsverletzung und gegebenenfalls eine Verletzung von Firmenrechten wegen unlauterem Wettbewerb. Die Gesuchsgegnerin hielt dem unter anderem entgegen, dass die Gesuchsstellerinnen nicht den Namen Tessin tragen und Tessin, weil die Amtssprache ausschließlich italienisch ist, als Kanton tatsächlich Ticino heisst.
Der WIPO-Panel beziehungsweise -Experte Dr. Bernhard F. Meyer stellte zunächst fest, dass Kantone, in ihrer Eigenschaft als altbekannte öffentliche Körperschaften, Namensrechte auch ohne den Zusatz „Kanton“ beanspruchen können und dass das italienische „Ticino“ und dessen Übersetzung „Tessin“ den Kanton Tessin als Körperschaft individualisiere und keine gemeinfreie Bezeichnung sei. Weiter ging der Experte davon aus, dass staatlich legitimierte Organisationen wie die Gesuchsstellerinnen nicht von sich aus Namensrechte des Kantons Tessin geltend machen könnten, sondern nur mit Vollmacht des Namensträgers. Eine Vollmacht lag jedoch nicht vor. Überdies hätten sie den Anspruch auf Übertragung der Domain zugunsten der Namensträgerin stellen müssen. Allerdings zog der Experte einen Wettbewerbsverstoß seitens der Domain-Inhaberin ins Kalkül, da sie im Wettbewerb mit zumindest der Gesuchsstellerin zu 1 stehe. Doch bei näherer Betrachtung stellte der Experte sodann fest, dass eine Verwechslungsgefahr nicht vorliege, aufgrund der Besucher der Seiten unter tessin.ch den Eindruck erlangten, es handele sich um ein Angebot des Kantons. Vielmehr werde deutlich, wer der Betreiber der Seite ist, und der Nutzer des Angebots werde auch auf offizielle Angebote von regionalen öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Tourismusbereich hingewiesen. In der Folge wies der Experte daher das Gesuch auf Übertragung der Domain ab.
Die Entscheidung macht deutlich, dass auch das Feld der Schiedsgerichtsbarkeit nicht für juristische Leichtgewichte geeignet ist. Eine möglichst vorausgehende Prüfung der rechtlichen Anforderungen an ein erfolgreiches Streitbeilegungsverfahrens ist unabdingbar. Hier nutzte es den Gesuchsstellerinnen auch nicht, dass sie ein Schreiben des Kantons vorlegen konnten, in dem es hieß, es sei zu begrüßen, wenn der Domain-Name in die Hände der Gesuchsstellerinnen käme. Dieses Schreiben reichte dem Experten als Beleg einer Vollmacht, das Streitbeilegungsverfahren zu führen, nicht aus.