Die Internet-Verwaltung ICANN arbeitet weiter intensiv daran, im Zuge der Einführung neuer Top Level Domains die letzten Differenzen mit dem Governmental Advisory Committee (GAC) auszuräumen. Der 20. Juni 2011 als Tag der Veröffentlichung des Bewerberhandbuchs gerät gleichwohl ins Wackeln.
Fast trotzig hat ICANN vergangene Woche in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, eine weitere produktive Telefonkonferenz mit dem GAC abgehalten zu haben, um „proaktiv“ und „sachlich“ die „begrenzte Anzahl“ offener Probleme zu lösen. Zusammenfassend spricht ICANN von 12 Problemkreisen mit 80 Einzelaspekten, die man teilweise in persönlichen Gesprächen diskutiert hat und die sich offenbar an der Scorecard des GAC orientieren, in der nach einem Ratingsystem die einzelnen Streitpunkte klassifiziert sind. Der ehemalige ICANN-Manager Kieren McCarthy hat zudem zuletzt ein stärker werdendes Lobbying aus den Reihen der Kennzeichenrechteinhaber und deren Anwälten beobachtet, die ICANN weitere Zugeständnisse und Kompromisse abringen wollen. Hierzu gehört ein Verzicht auf den Nachweis, dass eine Marke tatsächlich in Gebrauch steht, um daraus Rechte ableiten zu können, die Einbeziehung von zur Marke ähnlicher Begriffe in den Schutzbereich (womit die Marke „Gucci“ auch Wörter wie „Gucki“ oder „Gucci-Tasche“ angreifen könnte), Kostenregelungen zu Lasten des Verlierers von Streitschlichtungsverfahren und mehr Transparenz im Bewerbungsverfahren.
Darüber hinaus soll sich die Frage eines Preisnachlasses für Dritte-Welt-Länder zu einer kritischen Hürde für das gesamte nTLD-Programm entwickelt haben. Demnach drängt das GAC darauf, die Bewerbergebühr von US$ 185.000,- für Entwicklungsländer um 76 Prozent auf etwa US$ 44.400,- abzusenken. Auch bei allen anderen Kosten, wie sie beispielsweise bei Auktionen, einer Nachprüfung oder im Fall von Rechtsmittelverfahren anfallen könnten, will das GAC einen Nachlass verhandeln. Die Idee eines offenen, transparenten und für alle gleichen Bewerbungsverfahrens droht damit jedoch ad absurdum geführt zu werden und lädt überdies zum Missbrauch ein; soll sich also niemand wundern, wenn plötzlich zahlreiche Registries ihren Sitz in Afrika nehmen. Doch das GAC scheint gewillt, auch dieses Risiko in Kauf zu nehmen.
Es steht daher zu vermuten, dass ICANN sowohl gegenüber dem GAC als auch der Marken-Lobby erhebliche Zugeständnisse machen muss, soll wie geplant am 20. Juni 2011 in Singapur die Endfassung des Bewerberhandbuchs veröffentlicht werden. Doch ob ICANN dazu bereit ist, ist offen; in der eingangs erwähnten Presseerklärung spricht ICANN nurmehr davon, dass die Beschlussfassung in Singapur „möglich“ sei. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass nicht in Singapur, sondern erst beim anschließenden ICANN-Meeting Ende Oktober 2011 im senegalesischen Dakar endgültig die nTLD-Würfel fallen.