Im Dezember 2005 begann, was heute am 20. Juni 2011 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte: zum dritten Mal nach 2000 und 2004 hat die Internet-Verwaltung ICANN beschlossen, die Tür für die Einführung einer (diesmal theoretisch) unbegrenzten Anzahl neuer Domain-Endungen zu öffnen. Ab 12. Januar 2012 werden hunderte Bewerber drei Monate lang Gelegenheit haben, ihre Unterlagen bei ICANN einzureichen.
Das Herzstück des Einführungsverfahrens um eine neue generische Top Level Domain bildet das Bewerberhandbuch (Applicant Guidebook oder kurz AGB). Es regelt, unter welchen Voraussetzungen eine neue Domain-Endung von ICANN zugelassen wird. Seit seiner ersten Entwurfsfassung im Oktober 2008 hat es insgesamt sechs Überarbeitungen erfahren und wuchs von vormals 97 auf nunmehr über 350 Seiten an.
Inhaltlich gliedert sich das Bewerberhandbuch in sechs Kapitel, die von ICANN als „Modul“ bezeichnet werden:
Modul 1: Introduction to the gTLD Application Process
Modul 2: Evaluation Procedures
Modul 3: Objection Procedures
Modul 4: String Contention Procedures
Modul 5: Transition to Delegation
Modul 6: Application Terms & Conditions
In Modul 1 gibt ICANN zunächst einen Überblick über den Ablauf des gesamten Bewerberverfahrens. Es beinhaltet Anweisungen zur Vervollständigung und Einreichung einer Bewerbung, den beizufügenden Unterlagen, den zu zahlenden Gebühren sowie zum zeitlichen Ablauf. Ein zweiseitiges Schaubild am Ende des Kapitels rundet diese Einführung graphisch ab und vermittelt so selbst Neulingen einen leichten Einstieg in das komplexe Verfahren.
In Modul 2 regelt das Bewerberhandbuch die materiellen Voraussetzungen, nach denen sich die Zulassung eines Bewerbers und die Prüfung einer neuen Top Level Domain beurteilt. Am Beginn steht das so genannte „background screening“, bei dem zunächst der Bewerber einer allgemeinen Überprüfung unterzogen wird, ob er beispielsweise in der Vergangenheit durch Cybersquatting-Aktivitäten auffällig geworden ist. Hieran schließt die Phase der so genannten „initial evaluation“ an, die aus zwei zentralen Elementen besteht: der Prüfung der gewünschten Zeichenkette („string review“) einerseits und des Bewerbers („applicant review“) andererseits. Dieses Grobraster unterteilt sich in viele Einzelprüfungen. Erfüllt ein Bewerber eine Voraussetzung nicht, besteht die Möglichkeit zur „extended evaluation“.
Das „objection procedures“ getaufte Modul Nummer 3 teilt sich in zwei verschiedene Mechanismen auf: zum einen erhält das GAC (Governmental Advisory Committee), das die nationalen Regierungen innerhalb ICANNs repräsentiert, die Gelegenheit, im Rahmen eines „advice on new gTLDs“ Einfluss auf eine Bewerbung zu nehmen. Zum anderen hat ICANN ein „dispute resolution procedure“ genanntes Streitschlichtungsverfahren installiert, das jedem Dritten erlaubt, Einwendungen gegen eine geplante nTLD vorzubringen.
Mit den „string contention procedures“ befasst sich sodann Modul 4 des Bewerberhandbuchs. Es regelt all jene Fälle, in denen sich zwei oder mehr Bewerber um die selbe oder eine ähnliche Top Level Domain bewerben, und wie solche Konfliktfälle zu lösen sind. In solchen Fällen appelliert ICANN vorrangig an die Bewerber selbst, eine Lösung zu finden; scheitert die Einigung und wird auch sonst keine Lösung gefunden, entscheidet letztlich eine Auktion.
Die Module 5 und 6 regeln schließlich die letzten Schritte vom Ende einer erfolgreichen Prüfung über die Verhandlung des Registry-Vertrages mit ICANN, erste technische Tests bis hin zur Eintragung einer neuen Top Level Domain in die Root Zone.
Jeder Bewerber sollte sich allerdings bewusst sein, dass sich ICANN in einer Klausel das Recht vorbehalten hat, jederzeit Änderungen am Bewerberhandbuch als auch am Bewerbungsverfahren vorzunehmen. Dies könnte darauf deuten, dass es nie eine finale Endfassung, sondern stets eine laufend aktualisierte Version des Bewerberhandbuchs geben wird. Sollten sich einzelne Regeln während des laufenden Prüfverfahrens ändern, stellte ICANN aber im Einzelfall ein angemessenes Entgegenkommen in Aussicht.