Die Internet-Verwaltung ICANN hat am 15. April 2011 die vermutlich letzte Entwurfsfassung des Bewerberhandbuchs für neue generische Top Level Domains (gTLD Applicant Guidebook) veröffentlicht. Erneut haben sich zahlreiche Modifizierungen gegenüber der Vorversion ergeben.
Unverändert geblieben ist das Grundgerüst mit seinen insgesamt sechs Teilen, doch im Detail haben die Gespräche mit dem Regierungsbeirat Governmental Advisory Committee (GAC) zu zahlreichen Änderungen geführt. Eher formaler Natur sind die Änderungen im Fragenkatalog an die Bewerber, ob sie Beschränkungen im Domain-Parking planen; offenbar plant ICANN damit Argumente zu sammeln, die den wirtschaftlichen Nutzen von neuen Endungen belegen sollen. Streng bleibt ICANN dagegen bei der Zulassung von Unternehmen, die in Fälle von Cybersquatting verwickelt waren; vor allem die beiden Registrare GoDaddy und eNom dürften auch weiterhin an der Hürde scheitern, drei oder mehr UDRP-Verfahren verloren zu haben, wovon mindestens eines in den vergangenen vier Jahren stattfand und damit generelle Ungeeignetheit des Bewerbers indiziert. Ferner haben die Inhaber von Kennzeichenrechten eine Stärkung erfahren, als die Hürden für berücksichtigungsfähige Rechte gesenkt wurden; allerdings kommt man damit auch Spekulanten entgegen, die ihr Glück mit über Nacht eingetragenen Marken aus Afrika versuchen, zumal Sunrise-Phasen für jede neue TLD verpflichtend sind.
Die wohl wichtigsten Änderungen hat es jedoch im Bereich einer möglichen Einflussnahme von Regierungen auf den Bewerbungsprozess gegeben und somit die Position des GAC gestärkt. Zwar können einzelne Regierungen eine TLD nicht mit einem Veto verhindern; allerdings kann das GAC im Rahmen eines neuen, 60tägigen Frühwarnsystems seine Einwendungen gegen eine Bewerbung vorbringen, sofern sie mindestens eine Regierung als „potentiell problematisch“ erachtet. Der Bewerber hat dann die Gelegenheit, binnen 21 Tagen aus dem Verfahren auszusteigen und 80 Prozent der Bewerbungsgebühr von US$ 185.000,- zurückzuerhalten. Ignoriert er diese Frühwarnung, muss er sieben Monate lang damit rechnen, dass sich das GAC im Rahmen eines so genannten „Advice on New gTLDs“ formal gegen die Bewerbung wendet, sofern innerhalb des GAC Einigkeit besteht und eine ausreichende Begründung erfolgt. Damit legt das GAC die Latte an ICANN hoch, will man dort die Bewerbung dennoch zulassen. Außerhalb des GAC bleibt es jeder Regierung unbenommen, sich auf Grundlage aller anderen denkbaren Regelungen gegen eine TLD zu wenden, beispielsweise indem man geltend macht, dass einer Bewerbung die Unterstützung durch die eigene Community fehlt, wobei den Regierungen in diesem Fall Kostenvorteile zugestanden werden.
Der weitere Fahrplan sieht nun vor, dass die Öffentlichkeit 30 Tage und damit bis zum 15. Mai 2011 Gelegenheit zur Stellungnahme hat. Am 30. Mai 2011 will ICANN sodann die Endfassung des Bewerberhandbuchs veröffentlichen, um sie anlässlich einer außerordentlichen Sitzung des Vorstands am 20. Juni 2011 beim Meeting in Singapur zu verabschieden. Im Anschluss folgt eine viermonatige „communications campaign“; was genau darunter zu verstehen ist, hat ICANN bisher offen gelassen. Ein Start des TLD-Programms im November oder Dezember diesen Jahres scheint daher nicht mehr ausgeschlossen; wetten sollte man darauf aber weiterhin nicht.