Zum 38. Mal traf sich ICANN Ende Juni 2010 in Brüssel, um zur Zukunft des Domain Name Systems zu beratschlagen. Doch was bedeutet das Treffen für die geplante Einführung neuer Top Level Domains (nTLDs)? Antony van Couvering vom TLD-Beratungsunternehmen Minds+Machines versucht eine Standortbestimmung.
Die Fakten zuerst: ICANN hat angekündigt, bei einer Klausurtagung am 24. und 25. September 2010 alle noch offenen Fragen zu nTLDs prüfen zu wollen. Van Couvering erwartet, dass bis dahin Lösungsvorschläge für alle streitigen Fragen auf dem Tisch liegen. In welchen Fragen Streit herrscht, lässt sich abschliessend nicht darstellen; die grundsätzliche Linie gibt der vierte Entwurf des Bewerberhandbuchs jedoch vor, soviel ist sicher. Als letztes Kernproblem hat van Couvering den Streit um MOPO (Morality and Public Order) ausgemacht. Dabei geht es um die Frage, wann eine Bewerbung wegen Verstosses gegen Moral und öffentliche Ordnung zurückzuweisen ist. Vor allem der Regierungsbeirat (GAC) wies eindringlich darauf hin, dass es hier an internationalen Standards fehle, was die Regelungen im Entwurf schlicht praxisuntauglich mache. Van Couvering vermutet, dass ICANN nun ein Panel etabliert, das im Einzelfall entscheidet, ob eine Bewerbung diese Hürde nimmt. Man sollte jedoch nicht verkennen, dass bei einem Grossteil der Bewerbungen – man denke an .sport oder .music – in diesem Punkt keine ernsthaften Probleme zu erwarten sind.
Ein Einlenken will van Couvering auch bei Inhabern von Markenrechten ausgemacht haben. So hätten sich die schärfsten Kritiker von nTLDs, darunter die BBC, Nestle und das amerikanische Rote Kreuz, in konstruktiven Dialogen in die Gespräche eingebracht. Charlotte Walters vom Telekommunikationsunternehmen Orange etwa gab zu Protokoll, dass defensive Registrierungen wohl ein Dauerthema bleiben, die neuen Endungen jedoch vor allem langfristig Potential etwa im Marketing bringen. Verschiedene Schutzmechanismen wie die Uniform Rapid Suspension (URS), das Trademark Clearing House, die Post Delegation Dispute Resolution Procedure (PDDRP) und die Registry Restrictions Dispute Resolution Procedure (RRDRP) sollen dafür sorgen, dass ihre Rechte ausreichend gewahrt sind und im Streitfall effektive Regelungen zur Verfügung stehen, um Rechtsverletzungen entgegenzutreten. Selbst ganze Registries sollen geschlossen werden können, wenn sie vorsätzlich und systematisch Rechte geistigen Eigentums verletzen, weshalb auch das GAC nicht länger fürchtet, dass in den Ländern dieser Welt mit der Einführung neuer Endungen der IP-Himmel auf die Köpfe kracht.
Zusammenfassend spricht nach Ansicht von van Couvering viel dafür, dass beim nächsten ICANN-Meeting im kolumbianischen Cartagena de Indias, das vom 5. bis 10. Dezember 2010 stattfindet, die Würfel fallen und die Endfassung des Bewerberhandbuchs veröffentlicht wird. Mit der Endfassung steht auch fest, wann sich erstmals das Fenster für potentielle Bewerber öffnet; van Couvering rechnet dafür mit dem Zeitraum April bis Juli 2011. Die ersten neuen Domain-Namen wären dann ab Anfang 2012 registrierbar; aber wer die Mechanismen bei ICANN kennt, sollte sich hierauf nicht verlassen.