reifen.de

Die Hintergründe zum Rekord-Deal

Mega-Deal, Rekordpreis – für großes Aufsehen quer durch alle Medien sorgte vergangene Woche eine Pressemeldung des Hannover Reifenhändlers Delticom AG, wonach er für einen mehrfachen sechsstelligen Euro-Betrag die Domain reifen.de erworben hat. Doch erst wer an der Oberfläche dieser Meldung kratzt, stösst auf die Hintergründe dieses bedeutenden deutschsprachigen Domain-Deals.

Ursprünglich war ein ehemaliger Mitarbeiter eines großen Bonner IT- und Systemhauses Inhaber der Domain reifen.de. Bereits im April 2002 hatte er unter Nennung einer eMail-Adresse seines damaligen Arbeitgebers im Forum von domain-people.de um eine Bewertung der Domain gebeten; die Forenteilnehmer schätzten den Wert damals in einer Grössenordnung von EUR 4.000,- bis 8.000,- ein. Tatsächlich konnte er wenig später die Domain für EUR 5.000,- an Harald Adlassnig, Inhaber der Wiener Werbeagentur DAY NETWORKS und Betreiber des Portals suche.info, verkaufen. Adlassnig begann umgehend, die Domain als virtuelle Litfasssäule zu vermarkten: zusammen mit den ebenfalls ihm gehörenden Adressen reifen.info, reifen.org und breitreifen.at bot er auf der Portalseite every.biz ausgewählten Reifenhändlern wie reifen.com, reifendirekt.de und autoreifen.de die Möglichkeit zur Bannerschaltung an. Dank Type-Ins in der Grössenordnung zwischen 1.000 und 3.500 Besuchern am Tag verdiente er so durch die Werbeeinnahmen etwa EUR 50.000 im Jahr.

Im November 2002 erhielt er von Delticom, die selbst mit einem Link auf reifendirekt.de einen Banner auf der Portalseite geschaltet hatte, ein Angebot für die Domain; bereits zuvor waren von Dritten Summen um die EUR 15.000 geboten worden. Ein erstes Angebot von Delticom in Höhe von EUR 50.000 lehnte Adlassnig ebenso ab wie ein zweites Angebot Ende Dezember von EUR 100.000. Angesichts der Werbeeinnahmen bestand schlichtweg kein Bedarf, die Adresse zu verkaufen. Dennoch erklärte er sich bereit, für EUR 200.000 die Domain im Paket mit den restlichen Adressen reifen.info, reifen.org und breitreifen.at an Delticom abzugeben. Die Adresse reifen.info hatte sich Adlassnig in der Landrush Period II sichern können; die ursprünglich vergebenen Domains reifen.org und breitreifen.at konnte er Ende 2002 registrieren, nachdem sie wieder frei geworden waren.

Nach mehreren Telefonaten wurde der Handel schliesslich perfekt gemacht: für einen Gesamtpreis von EUR 200.000 wechselten alle vier Domains im Paket den Inhaber. Verzögerungen im Zusammenhang mit dem Wechsel der Verwaltung der Top Level Domain .org von VeriSign Inc. auf das von der Internet Society (ISOC) gegründete Konsortium Public Interest Registry (PIR) sorgten dafür, dass nach Anzahlung eines Teilbetrags endgültig schliesslich Anfang Februar 2003 auch im WHOIS-Verzeichnis der Inhaberwechsel eingetragen wurde und damit die Domains in rechtlicher Hinsicht zu Gunsten der Delticom AG registriert sind.

Grundlage für die Höhe des Kaufpreises waren weder Gutachten noch herkömmliche Bewertungsmodelle; allein eine kühle und realistische Kosten-Nutzen-Rechnung gab den Ausschlag, den für den deutschsprachigen Raum herausragenden Betrag zu bezahlen. So konnte Delticom etwa anhand der Banner nachvollziehen, wieviele Besucher über die Domain reifen.de letztlich auch auf das eigene Internetangebot gelenkt werden. Daneben standen in einem nichtöffentlichen Bereich von suche.info detaillierte Tages- und Monatsstatistiken für die Zahl der Domain-Aufrufe sowie der letzten 50 Besucher der Website inklusive Datum, Zeit, IP-Adresse und Hostnamen zur Auswertung zur Verfügung. Daher dürfte es sich für das Unternehmen Delticom um eine sehr lohnenswerte Investition in die Zukunft handeln. Schon die hohe Zahl an Bannerklicken belegt, dass die Einschätzung der Käuferin, Reifen würden schon bald als typische Internetprodukte wie Bücher oder CDs gehandelt werden, keinesfalls abwegig ist. Zudem handelt es sich bei reifen.de um eine klassische Gattungsdomain, die für die weit überwiegende Zahl an Internetsurfern wesentlich einprägsamer und prägnanter ist als die bisher verwendete Adresse reifendirekt.de.

Adlassnig hat den gesamten Kaufpreis mittlerweile, nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen, in den Kauf von Domains investiert, von denen ein Teil über die Handelsbörse Sedo von jedermann gekauft werden konnte. Er betont jedoch ausdrücklich, entgegen der Pressemeldung kein professioneller Domain-Händler zu sein. Auch zukünftig werde er lediglich gezielt Adressen zukaufen. Wer jetzt bei Angeboten von ihm auf den schnelle Domain-Euro hoffe, hoffe vergebens. Zum Ablauf der Vertragsverhandlungen war zu erfahren, dass sich beide Vertragsparteien generell auf Stillschweigen geeinigt hatten. Nachdem Delticom jedoch mit einer Pressemeldung an die Öffentlichkeit gegangen war, sah auch Adlassnig keinen Grund, nicht auch seine Sicht der Dinge einem öffentlichen Forum mitzuteilen.

An dieser Stelle sei aber vor dem Fehlschluss gewarnt, auch die eigene zum Verkauf stehende Domain sei plötzlich hunderttausende von Euro wert. Zum einen wurde hier an Stelle einer Einzel-Domain ein komplettes Domain-Paket gehandelt. Dieses ist für den Käufer ungleich wertvoller, da das Risiko von Streuverlusten etwa durch versehentliche Vertipper minimiert wird. Zum anderen ist der Domain-Handel wie kein anderes Geschäftsfeld von Angebot und Nachfrage geprägt, was der Fall reifen.de eindrucksvoll belegt. Unseriös hohe Kaufforderungen schrecken potentielle Käufer nur ab und steigern die Chancen auf ein für beide Seiten erfolgreiches Geschäft sicherlich nicht.

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