Im Streit um die anlasslose Vorratsdatenspeicherung hat Justizminister Marco Buschmann angekündigt, die Möglichkeit einer anlassbezogenen Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten (»Quick Freeze«) einzuführen. Dem Bundeskriminalamt (BKA) geht die Regelung nicht weit genug.
Mit Urteil vom 20. September 2022 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) einmal mehr bestätigt, dass die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit EU-Recht sind, da das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten wie zum Beispiel IP-Adressen oder Telefonnummern entgegensteht. Ausnahmen erkannte das Gericht nur in wenigen Fällen an, die sich aus dem Schutz der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit ergeben. Insbesondere müsse die nationale Regelung einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum für eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen. Buschmann kündigte unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Urteils an, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung »zügig und endgültig« aus dem Gesetz zu streichen. Stattdessen werde man das »Quick-Freeze«-Verfahren einführen. Beim »Quick Freeze« können Ermittlungsbehörden relevante Telekommunikationsdaten bei den Providern einfrieren lassen, wenn der Verdacht auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung besteht. Die damit zusammenhängenden Daten dürfen dann vorerst nicht mehr gelöscht werden, und auch neu anfallende Daten müssen gesichert werden. Wenn sich im Verlauf der weiteren Ermittlungen zeigt, dass die Daten tatsächlich für das Verfahren relevant sind, dürfen die Ermittler in einem zweiten Schritt auf die relevanten Daten zugreifen. Sowohl das Einfrieren als auch die spätere Übermittlung an die Behörden benötigen eine gerichtliche Anordnung.
Gegen dieses Vorhaben regte sich insbesondere bei den von der SPD geführten Ministerien, darunter Innenministerin Nancy Faeser, erheblicher Widerstand. Dort hatte man sich für eine neue rechtskonforme Regelung für eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten der Telekommunikation ausgesprochen; die IP-Adresse des Tatverdächtigen sei »oft der einzige Ermittlungsansatz«. Das von Buschmann vorgeschlagene Verfahren sei »kein adäquater Ersatz für eine Speicherung von IP-Adressen«. Buschmann sah für die bisherige Vorratsdatenspeicherung jedoch keinen Raum mehr, zumal die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland aufgrund der Rechtsprechung des EuGH bereits seit mehreren Jahren nicht mehr durchgesetzt wird. Mit dieser Forderung konnte er sich nun durchsetzen. Über den Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) verkündete Buschmann:
Wir geben den Ermittlungsbehörden ein Instrument an die Hand, das effektiv, grundrechtsschonend und rechtssicher ist. Ein guter Tag für Freiheit und Sicherheit!.
Der Gesetzesentwurf soll in einem nächsten Schritt vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) überarbeitet und den Bundesländern zur Stellungnahme übersandt werden. Das Bundesinnenministerium betonte allerdings, dass es über IP-Adressen »ausdrücklich keine Einigung« gegeben habe. Der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese kündigte an, im parlamentarischen Verfahren intensiv beraten zu wollen, »wie diese Methode den Anforderungen einer effizienten Strafverfolgung im Internet gerecht wird.«
Weiteren Gesprächsbedarf für eine befristete Speicherung von IP-Adressen hat auch Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), angekündigt. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland betonte er, dass man einen dringenden Bedarf dafür habe, IP-Adressen grundsätzlich für einen gewissen Zeitraum zu speichern. Derzeit würden die Provider die IP-Adresse maximal sieben Tage speichern, um nachverfolgen zu können, wenn es technische Probleme gegeben hat. Die meisten IP-Adressen seien deshalb nicht oder nicht mehr vorhanden, wenn das BKA Ermittlungen beginnen. Münch:
Eine Speicherung der IP-Adressen von zwei bis drei Wochen würde ausreichen, um die Erfolgsquote bei der Strafverfolgung im Bereich der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen massiv zu steigern.
Auch Hinweise auf Terrorgefahr und auf Hass und Hetze im Netz ließen sich viel sicherer und schneller verfolgen. Für weitere Diskussionen scheint also gesorgt.