Der Prozess zur Einführung neuer generischer Top Level Domains (nTLDs) droht in der Endphase doch noch zu kippen: anlässlich einer kurzfristig angesetzten Anhörung vor dem US-Kongress meldete sowohl Kennzeichenrechtslobby als auch Regierungsvertreter weiteren Gesprächsbedarf an.
Eigentlich ist der Fahrplan fix: am 30. Mai 2011 will die Internet-Verwaltung ICANN die Endfassung des Bewerberhandbuchs veröffentlichen, um sie anlässlich einer außerordentlichen Sitzung des Vorstands am 20. Juni 2011 beim Meeting in Singapur zu verabschieden. Eigentlich, denn geht es nach dem „United States House Subcommittee on Intellectual Property, Competition and the Internet“, einem Unterausschuss im US-Kongress, soll ICANN das Verfahren auf Eis legen. Kurzfristig hatte man ICANN für Mittwoch letzter Woche zu einer Anhörung zum Thema nTLDs geladen, und bereits die Besetzung verhieß nichts Gutes. Geladen waren unter anderem der Rechtsanwalt Steve Metalitz, Verfechter für stärkeren Schutz von Kennzeichenrechteinhabern, Mei-lan Stark, Rechtsabteilung der Fox Group, und Josh Bourne von der Coalition Against Domain Name Abuse (CADNA), einem der stärksten Kritiker des nTLD-Programms. ICANN hatte den erfahrenen Vizepräsidenten Kurt Pritz ins Rennen geschickt; sonstige nTLDs-Fürsprecher fehlten gänzlich, obwohl mehrere Vertreter der Domain Name Industry die einseitige Besetzung in einem offenen Brief noch kritisiert hatten.
Erwartungsgemäß wurde Pritz zweieinhalb Stunden lang mit unangenehmen Fragen förmlich gegrillt, und machte dabei nicht die glücklichste Figur. So gab Pritz an, dass ICANN innerhalb der ersten 24 Monate mit 200 Bewerbern rechne; im ICANN-Budget wird aber mit 500 Bewerbern kalkuliert. Des weiteren sind im Budget US$ 92 Mio. aus Bewerbergebühren eingeplant, denen US$ 35 Mio. an Kosten gegenüberstehen; was mit dem Differenzbetrag passiere, konnte Pritz nicht nachvollziehbar erklären. Auf die Frage, warum Domains nicht lediglich für einige Pennies registriert werden könnten, verwies Pritz darauf, dass sie einst US$ 80,– und mehr gekostet hätten, jetzt nur mehr US$ 8,– bis 10,–. Richtig ist zwar, dass Monopolist Network Solutions einst US$ 70,– pro Domain verlangte; diese Gebühren deckten jedoch zwei Jahre ab. Insgesamt musste Pritz nahezu durchgängig aus der Defensive argumentieren, anstatt sich aktiv für neue Endungen und deren Vorteile einzusetzen. Zum Schluss war sich der Unterausschuss einig: das nTLD-Programm soll verschoben werden, um vor allem den Schutz von Rechteinhabern zu verbessern. Noch vor dem 20. Juni 2011 soll zudem eine weitere Anhörung stattfinden.
Hätte man bei ICANN dies noch mit dem Hinweis abtun können, dass man keiner unmittelbaren Einflussnahme des US-Kongresses unterläge, kam wenig später ein weiterer Nackenschlag. In einer Rede vor dem Global Internet Governance Academic Network am 5. Mai 2011 machte Lawrence Strickling von der innerhalb der US-Regierung für ICANN zuständigen National Telecommunications and Information Administration (NTIA) klar, dass die Unstimmigkeiten zwischen ICANN und dem Governmental Advisory Committee noch nicht ausgeräumt seien; es sei vielmehr offen, wann die Gespräche zufriedenstellend abgeschlossen werden könnten. Er sehe daher nicht, dass das Bewerberhandbuch wie geplant am 20. Juni 2011 verabschiedet werden könne. Eine Reaktion von ICANN war hierauf bisher nicht zu erhalten.