Die Internet-Verwaltung ICANN hat sich der Forderung des US-Wirtschaftsministeriums widersetzt, über den IANA-Vertrag ein Veto-Recht zu Gunsten nationaler Regierungen bei der Einführung neuer Top Level Domains zu implementieren. Ein Ende des politischen Drucks ist jedoch nicht in Sicht.
Gut vier Wochen ist es her, dass ICANN mit der Verabschiedung der vorläufigen Endfassung des Bewerberhandbuchs die Richtlinien für das nTLD-Programm festzurren wollte. Wie vorläufig die Verabschiedung war, deutete sich wenige Tage zuvor an, als in einer Entwurfsfassung des zum 1. Oktober 2011 zu verlängernden IANA-Vertrages zwischen ICANN und der dem US-Wirtschaftsministerium untergeordneten National Telecommunications and Information Administration (NTIA) eine Klausel zu finden war, in der die Delegierung einer neuen Endung an einen Verwalter nur mit Zustimmung aller maßgeblichen Interessengruppen innerhalb ICANNs erfolgen dürfe. Über die Hintertür des IANA-Vertrag wäre so ein Veto-Recht geschaffen worden, das dem Regierungsbeirat Governmental Advisory Committe und damit den nationalen Regierungen ausreichenden Einfluss sichert. Für ICANN wiederum ist der IANA-Vertrag elementar, da er eine ganze Reihe technischer Aktivitäten in Bezug auf das Domain Name System regelt, so zum Beispiel die Wahrnehmung administrativer Aufgaben in Verbindung mit dem Root-Management, die Koordinierung der Zuteilung von Internetressourcen einschließlich IPv4- und IPv6-Adressen sowie die Verwaltung von Codes und IP-Adressen bei verschiedenen Internet-Registries.
Doch kampflos will ICANN diese Forderung nicht hinnehmen. In einem Schreiben von CEO Rod Beckstrom vom 22. Juli 2011 an Fiona M. Alexander von der NTIA kritisiert ICANN, dass eine solche Regelung „inkonsistent“ mit dem Prozess zur Verabschiedung des nTLD-Programms sei. Das Bewerberhandbuch sei nach umfangreicher Beratung mit allen Interessengruppen einschließlich des Regierungsbeirats beschlossen worden; die Forderung nach Zustimmung aller maßgeblichen Interessengruppen schaffe dagegen nun neue und zusätzliche Voraussetzungen. Der IANA-Vertrag dürfe nicht dazu genutzt werden, das gesamte Verfahren auf Anfang zu stellen; dies würde dem „multi-stakeholder model“ von ICANN, das allen Interessengruppen eine Teilhabemöglichkeit gewährt, zuwiderlaufen und habe mit dem funktionellen Fokus des IANA-Vertrags nichts zu tun. Der IANA-Vertrag solle lediglich regeln, dass die Entscheidungen des ICANN-Vorstands technisch umgesetzt werden.
Ob die NTIA von ihrer Forderung abrückt, scheint fraglich. Zuletzt hatte sich unter anderem die EU unter Leitung von Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, sehr verärgert über die Einführung der Porno-Domain .xxx gezeigt und verlauten lassen, dass im Zusammenhang mit den neuen Endungen über das „Modell ICANN“ noch zu sprechen sei; erste Gespräche sollen im September stattfinden. Vom Spannungsfeld zwischen technischer Verwaltung und politischer Einflussnahme bleibt ICANN daher auch in naher Zukunft nicht verschont.