Neue TLDs

Interview mit RA Dr. Bettinger

Geht es nach dem Willen der Internet-Verwaltung ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), wird das Domain Name System bereits im 2. Quartal 2009 um zahlreiche weitere Domain-Endungen erweitert. Mit dem Applicant Guidebook liegt seit wenigen Wochen erstmals ein Leitfaden vor, der potentiellen Kandidaten aufzeigt, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, um sich erfolgreich um ein neues Kürzel zu bewerben. Dr. Torsten Bettinger, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Gewerblicher Rechtsschutz, Rechtsbeirat der deutschen Domain-Verwaltung DENIC e.G. und Schiedsrichter beim Arbitration and Mediation Center der Genfer World Intellectual Property Organisation (WIPO), begleitet Interessenten im Rahmen einer Bewerbung anwaltlich. In unserem Interview gibt er uns einen persönlichen Einblick in den Bewerbungsprozess.

Herr Dr. Bettinger, für wen kommt Ihres Erachtens eine Bewerbung um eine TLD überhaupt in Frage? Ist eine solche TLD vorrangig für unternehmenseigene Zwecke wie .ebay, .google oder .ibm interessant, oder sehen Sie auch Potential für offene TLDs wie .web, .xxx oder .shop?

Bettinger: Die von der ICANN in einem ersten Entwurf veröffentlichen Ausschreibungsbedingungen (sog. Draft Request for Proposal, kurz RFP) sehen die Möglichkeit vor, dass generische Top Level Domains (gTLDs) entweder für unternehmenseigene Zwecke genutzt werden, bestimmten Nutzergruppen vorbehalten oder aber als so genannte offene gTLDs ohne Beschränkungen allen Internetnutzern zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Vor dem Hintergrund, dass den offenen gTLD wie zum Beispiel .info oder .biz in der Vergangenheit nur mäßiger Erfolg beschieden war, wird in der Registry- und Registrar-Szene gegenwärtig davon ausgegangen, dass es in der ersten Bewerbungsrunde nur relativ wenige Anträge auf Registrierung offener gTLDs (zum Beispiel .shop, .web, etc.) geben wird und die meisten Bewerber eine Nutzung für unternehmenseigene Zwecke beabsichtigen. Trotz der hohen Bewerbungskosten ist zu erwarten, dass die weltweit Top-500 Unternehmen, die meisten DAX-Unternehmen, aber auch einige größere mittelständische Unternehmen im Online-Bereich eine Bewerbung einreichen werden. Für einige gut vermarktbare branchenspezifische gTLDs wie etwa .sport, .fashion, etc. werden sich aber sicherlich auch Investoren finden.

Mit dem „Draft Applicant Guidebook“ hat ICANN einen ersten Entwurf eines Bewerberhandbuchs veröffentlicht und damit Neuland betreten. Doch schafft das Bewerberhandbuch mit unbestimmten Begriffen wie „öffentliche Ordnung“ und „Moral“ nicht mehr Fragen als es löst? Rechnen Sie damit, dass es noch viele Änderungen an diesem Entwurf gibt?

Bettinger: Das Draft Applicant Guidebook enthält meines Erachtens bereits eine sehr detaillierte und m.E. ganz überwiegend sachgerechte Darstellung der Registrierungsvoraussetzungen und des Ablaufs des Bewerbungsverfahrens. Dass die materiell-rechtlichen Bestimmungen der Konfliktlösungsverfahren im Falle von Einwänden Dritter gegen einen Registrierungsantrag nicht ohne unbestimmte Rechtsbegriffe wie „öffentliche Ordnung“ auskommen würde, war zu erwarten. Diese sind – wie etwa der Begriff der Bösgläubigkeit („bad faith“) in den UDRP-verfahren zeigt – bei der Lösung von Domainnamenskonflikten aber weder ungewöhnlich noch problematisch, sondern bedürfen der Konkretisierung durch die zuständigen Schiedsgerichte. Ich gehe daher nicht davon aus, dass ICANN noch grundlegende Änderungen an dem veröffentlichten Entwurf vornehmen wird.

Das Bewerbungsverfahren gliedert sich im Wesentlichen in drei Phasen, die Evaluierungsphase, die Streitbeilegungsphase und die String Contention Phase. Wo sehen Sie die meisten Schwierigkeiten für einen Bewerber, und mit welchen wesentlichen Hürden rechnen Sie?

Bettinger: Große Unternehmen, die ihr eigenes Unternehmenskennzeichen oder ihre Premium-Marke als Top Level Domain registrieren wollen, müssen in der Evaluierungsphase nicht mit Problemen rechnen, wenn die Bewerbungsunterlagen sachgerecht zusammengestellt und eingereicht werden. Hierfür sollten sich die Unternehmen unbedingt einen sachkundigen Berater suchen, der in Abstimmung mit der Marken- und Marketingabteilung des Unternehmens die Naming-Guidelines, das Nutzungskonzept und die Konfliktlösungsregeln ausarbeitet und bei der technischen Umsetzung des Registry-Betriebes berät.

Auch in der Streitbeilegungsphase wird es bei Anträgen größerer Unternehmen im Regelfall nicht zu Konflikten mit Dritten kommen, da die Nutzung des eigenen Unternehmenskennzeichens als gTLD weder Rechte Dritter im Sinne der im Draft genannten Verletzungstatbestände verletzt noch einen Verstoß gegen die Grundsätze der öffentlichen Ordnung und Moral oder sonstige „Empfindungen, die auf nationalen, kulturellen, geografischen und religiösen Vorstellungen beruhen“, begründet. Bei offenen gTLDs, die allen Internetnutzern zur Nutzung offen stehen, kann dies anders sein. Auch insoweit rechne ich jedoch nicht mit einer Vielzahl von Konflikten. Missbräuchliche Registrierungen zu Behinderungs- und Spekulationszwecken wie sie im Bereich der Second Level Domains allseits bekannt sind, wird es bei gTLDs schon aufgrund der hohen Registrierungskosten nicht geben.

Die meisten Konflikte werden sich sicherlich daraus ergeben, dass mehrere konkurrierende Anträge auf Registrierung ein und derselben gTLD in der ersten Bewerbungsrunde eingereicht werden. Selbst bekannte Unternehmenskennzeichen haben nicht immer weltweit eine Alleinstellung sondern koexistieren mit einem Unternehmen mit demselben Unternehmenskennzeichen in einer anderen Branche oder einem anderen Schutzterritorium. Die von ICANN in einem solchen Fall der „string contention“ vorgeschlagenen Entscheidungskriterien (der Verbindung zwischen gTLD-string und der Community, geeignete Registrierungs-Politik, Community-Unterstützung etc.) sind allerdings noch etwas undurchsichtig und vage. Sie bedürfen meiner Ansicht nach noch weiterer Konkretisierung.

In Ihrem Internet-Angebot sprechen Sie davon, im Rahmen der Durchführung eines Bewerbungsverfahrens mit namhaften ISPs zusammenzuarbeiten. Wer wird das sein? Kommen sie aus dem deutschsprachigen Raum?

Bettinger: Die Zahl von ISPs, die bereit sind, als technische Back-End Operators, die erforderlichen Registry-Funktionen für ICANN zu übernehmen, ist gegenwärtig noch sehr begrenzt. Neben den ISP die schon in der Vergangenheit als Registry-Back-End Provider in Erscheinung traten, wie zum Beispiel das Unternehmen CORE (Schweiz) Network Solution (USA), Afilias Ltd. (Irland) oder NeuStar (USA) sind mir etwa 10 weitere ausländische ISPs bekannt, die angekündigt haben, sich als Registry-Back-End Provider zur Verfügung zu stellen, etwa das AusRegistry International (Australien), CentralNIC (London), Cocca (Australien) und andere. Die DENIC, die sich bekanntlich erfolglos um die gTLD „.net“ beworben hatte, wird sich nicht als Registry-Provider für Dritte anbieten. Es ist zu hoffen, dass auch noch einige deutsche ISP ihren Hut in den Ring werfen.

ICANN plant, mit den ersten Bewerbungsrunden im 3. Quartal 2009 zu beginnen. Halten Sie dieses Zeitfenster für realistisch? Und sollten potentielle Interessenten schon jetzt tätig werden oder noch abwarten, bis alle Entscheidungen getroffen sind?

Bettinger: Der Zeitrahmen ist anspruchsvoll, seine Einhaltung aus meiner Sicht allerdings weniger problematisch für ICANN als für die potentiellen Bewerber, die häufig auf Vorstandsebene zunächst eine Entscheidung über die Bewerbung herbeiführen müssen und anschließend ein Nutzungskonzept für die gTLDs ausarbeiten müssen. Anders als in der Vergangenheit, als ICANN wenig Wert darauf legte, die eigenen Zeitvorgaben einzuhalten, scheint ICANN nunmehr gewillt, das Bewerbungsverfahren pünktlich im 3. Quartal 2009 zu beginnen.

Nach derzeitigem Stand plant ICANN eine Bewerbungsgebühr von US$ 185.000,-, die auch bei Ablehnung der Bewerbung nicht rückerstattet wird. Wie hoch schätzen Sie (unter Berücksichtigung der Beratungskosten für das Bewerbungsverfahren) die finanziellen Kosten, die ein Bewerber für eine solche neue TLD mindestens einkalkulieren muss?

Bettinger: Die Gesamtkosten lassen sich noch schwer abschätzen. Der größte Posten ist sicherlich die an ICANN zu entrichtende Bewerbungsgebühr in Höhe von US$ 185.000. Nach der erheblichen Kritik, die sich an den hohen Bewerbungskosten entzündet hat, erscheint allerdings nicht ausgeschlossen, dass ICANN diese im nächsten Entwurf der Ausschreibungsbedingungen etwas reduziert. Zu den ICANN-Bewerbungskosten hinzukommen die Kosten für den Registry-Betrieb. Diese hängen davon ab, ob dieser an einen ISP outgesourct wird oder der Bewerber selbst die Registry-Funktionen sicherstellt. Die Marktpreise sind bislang noch nicht sehr transparent. Nach meinem Kenntnisstand liegen die Angebote gegenwärtig zwischen EUR 50.000,- und 100.000,-; einzelne Anbieter wollen den Service aber offenbar deutlich günstiger anbieten.

Schließlich entstehen Kosten für die Ausarbeitung und Einreichung der Bewerbungsunterlagen, insbesondere der Entwicklung eines Domain-Registrierungs- und Nutzungskonzepts, der Naming Conventions, des Regelwerks der Registrierung- und Streitbeilegungsverfahren. Wir rechnen hier entweder nach Zeitaufwand oder zu einem Pauschalhonorar ab. Die Höhe des Pauschalhonorars hängt vom Einzelfall ab.

Wie lange wird der Prozess von der ersten Beratung im Rahmen Ihres Angebots bis zur Abgabe einer Bewerbung um eine TLD an ICANN voraussichtlich dauern?

Bettinger: Für das gesamte Projekt einer gTLD-Bewerbung, also die Entwicklung eines Domainregistrierungs- und Nutzungskonzepts, Auswahl der technischen Dienstleister, Konzeption, Verfassen der Naming Conventions und des Regelwerks der Registrierungs- und Beratung, die technische Dokumentation des Registry Back-End etc. sollten meines Erachtens mindestens drei Monate veranschlagt werden.

Herr Dr. Bettinger, Sie sind seit vielen Jahren für das Genfer UDRP-Schiedsgericht der World Intellectual Property Organisation (WIPO) sowie das Prager .eu-Schiedsgericht tätig. Müssen Markeninhaber durch die neuen TLDs nun mit einer Schwemme von Rechtsverletzungen und zahlreichen Gerichtsverfahren rechnen? Wird jede neue Top Level Domain eine eigene Sunrise Period haben? Oder gibt es Möglichkeiten, sich vorbeugend zu schützen?

Bettinger: Im Bewerbungsverfahren um die gTLDs erwarte ich schon aufgrund der hohen Bewerbungsgebühren wenig echte Missbrauchsfälle. Hier ist die Situation völlig anders als bei der Registrierung von Second Level Domains, die ohne Prüfungsverfahren mit geringstem Kostenaufwand möglich sind. Streitigkeiten bei der Bewerbung auf Registrierung einer gTLD werden in erster Linie dadurch entstehen, dass konkurrierende Anträge auf Registrierung derselben gTLD eingereicht werden.

Bei der Registrierung von Second Level Domains unter den neu vergebenen offenen gTLDs muss selbstverständlich auch wieder mit den altbekannten Phänomenen des Domain-Grabbing und Cybersquatting, aber auch des so genannten „Sunrise-Squatting“ gerechnet werden. Entgegen der Forderungen der Markenindustrie, die einheitliche sog. „pre-launch and post-launch rights protections mechanisms“ gefordert hatten, sehen die Ausschreibungsregeln abgesehen von der UDRP, die von allen Betreibern anerkannt werden muss, bislang keine einheitlichen Regeln zur Verhinderung derartiger Rechtsverletzungen vor. Nach dem Draft RFP steht es den Betreibern der gTLDs frei, ob und in welcher Form Rechtsverletzungen in der Sunrise-Phase und Landrush-Phase durch angemessene Vergaberichtlinien verhindert werden. Die Markeninhaber sind daher gut beraten, die neuen gTLDs im Auge zu behalten und zu prüfen, auf welchem Wege Rechtsverletzungen am einfachsten verhindert werden können.

Herr Dr. Bettinger, Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Weitere Informationen:

> Draft Applicant Guidebook

> Zusammenfassender Bericht zu ICANNs New gTLD Programe

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