Das im Indischen Ozean gelegene Chagos-Archipel, der letzte noch verbliebene Teil des Britischen Territoriums im Indischen Ozean, hat nach langwierigen Verhandlungen seine Souveränität zurückerlangt. Die Zukunft der Top Level Domain .io steht damit einmal mehr in den Sternen.
Ursprünglich bestehend aus sieben Atollen mit rund 60 größtenteils unbewohnten kleinen Inseln, hatte das Britische Territorium im Indischen Ozean zuletzt vor allem militärische Bedeutung. Im Jahr 1965 trennte Großbritannien die Verwaltung der Chagos-Inseln vom Kolonialgebiet Mauritius, das drei Jahre später in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Die Hauptinsel des Archipels, Diego Garcia, verpachtete das Königreich seit 1966 an die USA, die dort einen Militärstützpunkt unterhalten. Die Einwohner wurden damals zwangsweise umgesiedelt, größtenteils nach Mauritius. Großbritannien entschuldigte sich zwar für die Vertreibung, beharrte jedoch darauf, dass Mauritius selbst keinen legitimen Anspruch auf die Inseln habe. Jahrzehntelang kämpfte Mauritius darum, in dieser Frage ernsthafte internationale Unterstützung zu gewinnen. Die Wende brachte ein Gerichtsurteil; am 25. Februar 2019 kam der Internationale Gerichtshof mit 13 zu 1 Stimmen zu der Ansicht, dass »the United Kingdom is under an obligation to bring to an end its administration of the Chagos Archipelago as rapidly as possible«. Diese Entscheidung wurde von den Regierungen von Großbritannien und Mauritius nun umgesetzt. Gemäß einer gemeinsamen Erklärung vom 03. Oktober 2024 wird das Vereinigte Königreich der Souveränität Mauritius‘ über das Chagos-Archipel zustimmen. Das schließt auch die Hauptinsel Diego Garcia ein; allerdings wird Großbritannien für eine »initial period of 99 years« befugt sein, in Bezug auf Diego Garcia die souveränen Rechte und Befugnisse von Mauritius auszuüben, um den Betrieb der Militärbasis der USA bis weit in das nächste Jahrhundert hinein sicherzustellen. Mauritius ist künftig frei, ein Umsiedlungsprogramm auf den Inseln des Chagos-Archipels mit Ausnahme von Diego Garcia durchzuführen, und Großbritannien wird einen neuen Treuhandfond einrichten und separat weitere Unterstützung leisten.
Noch unklar ist die Zukunft der Top Level Domain .io, dem offiziellen Länderkürzel des Britischen Territoriums im Indischen Ozean. Grundsätzlich orientiert sich die Internet-Verwaltung ICANN bzw. die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) bei der Vergabe von Länderendungen an der »ISO 3166-1«-Standardliste; dort wird .io aktuell noch geführt. Doch endet die britische Verwaltung des Chagos-Archipels, endet damit auch das Britische Territorium im Indischen Ozean. Sollte »io« deshalb aus der »ISO 3166-1«-Standardliste gestrichen werden, entfiele grundsätzlich auch die country code Top Level Domain .io – und mit ihr die Grundlage für mehrere hunderttausend .io-Domains. Gesicherte tagesaktuelle Registrierungszahlen gibt es nicht; vor allem bei Tech-Start-Ups erfreut sich die Endung .io aber großer Beliebtheit. Zwingend ist ein Abschied von .io nicht. Obwohl die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) bereits im Jahr 1991 politisch aufgehört hat zu existieren, ist sie mit .su nach wie vor im Domain Name System vertreten. Als Gegenbeispiel gilt .yu; das vormalige Länderkürzel Jugoslawiens wurde am 01. April 2010 aus dem Domain Name System gelöscht. Ebenso gut wäre es möglich, dass Mauritius den Registry-Vertrag für .io neu vergibt. Da dürfte die in London sitzende .io-Registry Internet Computer Bureau Limited aber ein gewichtiges Wort mitreden wollen. Das Unternehmen, das mittlerweile zu Identity Digital (vormals Donuts) gehört, hat im Jahr 2023 mit .io einen Umsatz von rund US$ 40 Mio. erwirtschaftet. Mit .ac (Ascension) und .sh (St. Helena und Tristan da Cunha) hat die Internet Computer Bureau Limited zudem zwei weitere exotische Top Level Domains unter Vertrag.
Unmittelbar besteht für die Inhaber einer .io-Domain keine Gefahr. Weder Großbritannien noch Mauritius haben in ihrer gemeinsamen Erklärung zu erkennen gegeben, dass sie .io aufgeben wollen; das wird letztlich erst den völkerrechtlichen Verträgen zu entnehmen sein, die noch ratifiziert werden müssen. Allerdings sollten sich Unternehmen, deren Hauptpräsenz auf einer .io-Domain beruht, demnächst um eine sinnvolle Alternative bemühen, um bei Bedarf Infrastruktur und Inhalte auf eine Ausweich-Domain umziehen zu können.