Ist anonyme Meinungsäußerung im Internet erlaubt? Mit dieser Frage beschäftigte sich das OLG Hamm im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Psychoanalytiker und dem Betreiber eines Bewertungsportals, in dem ein Nutzer den Psychoanalytiker schlecht bewertet hatte (Beschluss vom 03.08.2011, I-3 U 196/10).
Der Kläger ist ein Psychoanalytiker, den im Oktober 2008 ein wohl ehemaliger Patient in einem Bewertungsportal schlecht bewertet hatte. Der Kläger verlangte vom Betreiber des Portals, dem Beklagten, die Daten des Nutzers herauszugeben und dessen Bewertung zu entfernen. Der Beklagte weigerte sich. Die Klage des Psychoanalytikers vor dem Landgericht Münster war nicht erfolgreich. Er reichte Berufung gegen das Urteil beim Oberlandesgericht in Hamm ein.
Das OLG Hamm erließ einen Beschluss, in dem es darlegt, warum es die Berufung zurückweisen wird und den Parteien die Möglichkeit gab, Stellung zu nehmen (Beschluss vom 03.08.2011, I-3 U 196/10). Es machte vor allem deutlich, dass die im Internet typische anonyme Nutzung vom Gesetzgeber gewollt ist und der Meinungsfreiheit diene. Nach Ansicht des OLG Hamm hatte die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, da dem Kläger der Anspruch auf Entfernung des Eintrags nicht zusteht. Der Gesetzgeber habe bewusst Diensteanbieter verpflichtet, die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist (§ 13 Abs. 6 Satz 1 TMG). Der vom Kläger gewählte Auskunftsanspruch (§ 13 Abs. 7 TMG) greift nicht, weil er das Auskunftsrecht zwischen Nutzer und Anbieter regelt. Über die europäische eCommerce-Richtlinie ergibt sich ebenfalls kein Anspruch auf die Daten des Nutzers, da diese nicht zwingend von den Staaten umgesetzt werden musste und bewusst vom deutschen Gesetzgeber nicht umgesetzt wurde. Zudem würde sie lediglich Behörden einen Auskunftsanspruch gewähren.
Im hier vorliegenden Falle wog das Gericht letztlich die Interessen des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) gegen das Recht auf Kommunikationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) ab und gab der in Art. 5 GG statuierten Meinungsfreiheit den Vorrang. Es ging davon aus, dass es sich bei dem Eintrag in das Bewertungsportal um eine Meinungsäußerung handelte, auch wenn sie einen Tatsachengehalt aufwies. Die Interessen des Klägers würden lediglich im beruflichen Bereich berührt, nicht aber die Privat-, Intim- oder gar Geheimsphäre. Die Äußerungen haben zudem keine schwerwiegenden Auswirkungen, wie etwa die Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder Prangerwirkung. Der Fall sei nicht mit dem bei Lehrerportalen vergleichbar. Während Lehrer lediglich auf bestimmten Schulen tätig sind, bietet der Kläger seine Dienste öffentlich an. Deshalb bestehe ein öffentliches Interesse, mit solchen Bewertungen Markttransparenz zu schaffen. Dass der Kläger im Rahmen seines Rechts auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) bisher Schaden genommen hat, konnte er nicht nachweisen. Vielmehr liegt der Eintrag bereits drei Jahre zurück; ihm stehen mittlerweile vier positive Bewertungen gegenüber.
Ist das nun die viel beschworene Entscheidung, die der Anonymität im Netz das Wort redet? Jein. Der Beschluss des OLG Hamm verweist auf den Gesetzgeber, der in Fragen der Online-Anonymität bereits Tatsachen geschaffen hat, die es zur Anwendung bringt. Es tut freilich gut, dass mit dieser Entscheidung deutlich gemacht wird, dass der Gesetzgeber hier und da auch vernünftige Regelungen, die das Internet betreffen, geschaffen hat. Gelegentlich sollte man den Gesetzgeber daran erinnern, dass er diesen Kurs wieder einnehmen sollte.