Internetinfrastruktur

»Fair Share«-Initiative der EU-Kommission steht in der Kritik

Kann man der EU in Sachen Internet-Regulierung noch vertrauen? Konstantinos Komaitis vom Think-Tank Atlantic Council’s Digital Forensic Research Lab (DFRLab) hat Zweifel. Im Mittelpunkt seiner Kritik steht die »Fair Share«-Initiative der EU-Kommission.

Im Februar 2023 hatte die EU-Kommission eine inzwischen beendete Konsultation zur Zukunft des Sektors der elektronischen Kommunikation und seiner Infrastruktur gestartet. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage einer möglichen Beteiligung großer Tech-Unternehmen wie Amazon, Google, Netflix, Microsoft oder Facebook an den Kosten des Netzausbaus (»Fair Share«). Ziel dieser Konsultation ist der Dialog mit allen Interessenträgern über die potenzielle Notwendigkeit, dass alle Akteure, die vom digitalen Wandel profitieren, einen fairen Beitrag zu den erforderlichen Investitionen leisten. Doch während unter anderem die Datenschutz-Grundverordnung dazu beigetragen habe, Europas Position als de facto globale Regulierungsbehörde für das Internet zu festigen, sieht Komaitis, Autor des Buches »The Current State of Domain Name Regulation« und Panelist beim UDRP-Schiedsgericht des Czech Arbitration Court, mit der »Fair Share«-Initiative die Grenze erreicht. In einem Aufsatz für das Blog des in Washington (D.C.) ansässigen Lawfare Institute merkt er an:

Europe must not forget that no one can »internet« alone.

Die Politik in Europa zeige allgemeine Unzufriedenheit mit Big Tech. In den Augen einiger Politiker würden die großen Technologieunternehmen aus den USA Milliarden auf Kosten der europäischen Bürger und Unternehmen verdienen. Doch mit der »Fair Share«-Initiative würde die EU versuchen, Telekommunikationsunternehmen ein Monopol über die Kommunikationskanäle der Nutzer zu verschaffen. Das Internet solle wie das Telefonnetz reguliert werden. Das Internet sei jedoch nicht mit dem Telefonnetz vergleichbar, seine Architektur grundlegend anders. Dezentralisierung, Interoperation und offene Standards würden die Grundlage für die Kommunikation in den Netzen bilden, und da es kein Kontrollzentrum gibt, gäbe es auch keinen einzigen Ausfallpunkt. Jede Schwächung dieser Konnektivität führe zu einer Fragmentierung und untergrabe die Offenheit des Internets. Der europäische Vorschlag habe dennoch bereits die Aufmerksamkeit anderer Länder auf sich gezogen; Indien, Brasilien und Vietnam würden Gespräche über Netzneutralität führen und stellen dabei die Funktionsweise des Zusammenschaltungsmarktes in Frage. Die politischen Gründe sind für Komaitis rätselhaft. Es scheine fast so, als sei die EU-Exekutive davon überzeugt, dass die digitale Agenda Europas irgendwie vorankommt, wenn man sich den Forderungen der Telekommunikationsunternehmen beuge. Zugleich fragt Komaitis: Warum sollte jemand in Europa investieren wollen, wenn das Geld am Ende an einen anderen privaten Akteur geht? Warum sollte ein (europäisches) Start-Up wachsen wollen, wenn es am Ende sein Geld an jemand anderen gibt? Der „faire Anteil“ biete keine Anreize.

Komaitis steht mit seiner Kritik nicht allein. Bei einem Treffen mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton im Mai 2023 sollen sich 18 Länder entweder klar gegen die Initiative ausgesprochen oder nach mehr Untersuchungen über potentielle Auswirkungen verlangt haben. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, gab an:

Das freie und offene Internet ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Jeder Bürger, jedes Unternehmen muss gleichberechtigt im Netz unterwegs sein können. Wir sind daher gegen Markteingriffe und komplizierte Beteiligungsmodelle.

Ende Juni 2023 will die EU-Kommission einen Bericht vorstellen, der die Konsultation zusammenfassen soll. Ob danach ein konkreter Gesetzesvorschlag folgt, ist derzeit noch offen.

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