ICANN-Meeting

Viele Probleme noch ungelöst

Viele Diskussionen und wenige Lösungen: trotz Rekordkulisse ist vergangene Woche das 50. Meeting der Internet-Verwaltung ICANN mit vielen ungelösten Problemen zu Ende gegangen. Bevor es im Oktober nach Los Angeles geht, wartet viel Arbeit auf die Community.

Über 3.300 Teilnehmer – und damit so viele wie nie zuvor – hatten sich angemeldet, um in London über die Zukunft des Domain Name Systems zu diskutieren. Im Mittelpunkt der fünftägigen Veranstaltung stand erwartungsgemäß die Ankündigung der US-Regierung vom März 2014, die Verantwortung für die IANA-Funktionen in die Hände der globalen Multistakeholder-Community legen zu wollen. Zu den Bedingungen der US-amerikanischen National Telecommunications and Information Administration (NTIA) zählt jedoch unter anderem die Unterstützung und Verbesserung des Multistakeholder-Modells als auch die Aufrechterhaltung der Offenheit des Internets. Vor diesem Hintergrund gilt es als politischer Erfolg, dass sich Lu Wei, Vertreter der chinesischen »Cyberspace Affairs Administration«, zur Vision eines »One World, One Internet« bekannte und ankündigte, das Multistakeholder-Modell unterstützen zu wollen. Etwas überraschend grätschte dagegen der ICANN-Regierungsbeirat Governmental Advisory Committee (GAC) in die Multistakeholder-Debatte: offenbar verärgert über anhaltende Debatten verlangte man, ohne weitere Diskussion die Zeichen des »Rote Kreuz« umfassend zu schützen. Diese Forderung nach einem Diskussionsverbot widerspricht nicht dem Multistakeholder-Gedanken, sondern ist auch überflüssig: das Rote Kreuz darf sich über 61 geschützte Wörter freuen, darunter »redcross«, »redcrystal«, »cruzroja« und »cicr«, die unter keiner neu eingeführten Domain-Endung registriert werden dürfen.

Für kritische Töne sorgte die Verifizierung von WHOIS-Daten im Rahmen der Domain-Registrierung. Auf Drängen der Strafverfolgungsbehörden hatte ICANN im Registrar Accreditation Agreement (RAA) mit den Domain-Registraren Änderungen durchgesetzt. Seither muss jeder Inhaber einer Domain mit generischer Endung die von ihm angegebene eMail-Adresse binnen 15 Tagen durch eine Bestätigungsnachricht aktiv – zumeist durch Anklicken eines per eMail erhaltenen Links – verifizieren; bleibt dies aus, wird die Domain suspendiert. Und offenbar geschieht dies häufiger als gedacht: Nach einem ersten Bericht der »Registrars Stakeholder Group«, die etwa 75 Prozent der Registrierungen ausgewertet hat, wurden bisher etwa 800.000 Domains suspendiert. Die tatsächliche Zahl könnte nach Einschätzung von Tucows-CEO Elliot Noss sogar bei rund einer Million liegen. Für ICANN liegt der Ball jetzt im Feld der Strafverfolger: sie müssten verlässliche Zahlen liefern, dass sich durch diesen Aufwand die Sicherheit im Netz verbessert habe; Noss sprach bildhaft davon, dass es jetzt »800.000 zu 0« stehe. ICANN-Aufsichtsrat Steve Crocker vermutet, dass in den allermeisten Fällen schlicht ein Wechsel der eMail-Adresse zur Suspendierung geführt habe; wirkliche »bad guys« dürften in den seltensten Fällen darunter gewesen sein. Forderungen nach weiteren Verschärfungen erteilte er vor diesem Hintergrund vorläufig eine Absage. Wollen die Strafverfolger ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren, sind sie jetzt am Zug.

Fast absurde Züge trägt indessen der Streit um die Einführung der beiden Top Level Domains .wine und .vin. Vor allem Frankreich, Spanien und Italien verlangen mit Rückendeckung der EU-Kommission, dass geographische Herkunftsbezeichnung (»Geographical Indications«, kurz »GI«) wie zum Beispiel Champagne, Bordeaux, oder Chianti mehr Schutz genießen, als ihnen nach den Grundsätzen des internationalen Markenrechts zusteht; vor allem die USA und Kanada lehnen diesen Schutz ab. Im April diesen Jahres hatte ICANN das Bewerbungsverfahren für beide Endungen für vorläufig 60 Tage eingefroren. Da sich das GAC auf keine Position einigen konnte, kündigte ICANN nun an, das Prüfungsverfahren fortzusetzen. Die französische Ministerin Axelle Lemaire konterte dies mit dem Hinweis, dass ICANN insgesamt ungeeignet sei, um das Internet zu verwalten; ausserdem werde ICANN damit die transatlantischen Handelsbeziehungen beeinflussen, obwohl diese mit der Domain Name Industry in keinem Zusammenhang stehen. Gut möglich, dass EU-Kommissarin Neelie Kroes erneut interveniert; widerspruchslos dürfte die Entscheidung ICANNs zu Gunsten von .wine und .vin jedenfalls nicht bleiben.

Das London-Kommuniqué des GAC finden Sie hier.

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