Soll die Bewerbung um eine neue Top Level Domain (nTLD) .gay scheitern, weil damit die Gefühle arabischer Internetnutzer verletzt werden können? Geht es nach dem Governmental Advisory Committee (GAC) von ICANN, droht eben dieses Risiko – mit unabsehbaren Folgen.
Ende Juni 2010 hatte ICANN angekündigt, bei einer Klausurtagung am 24. und 25. September 2010 alle noch offenen Fragen zu nTLDs prüfen zu wollen. Zu den Kernproblemen zählt unter anderem der Streit um die Frage von „Morality and Public Order“, kurz MOPO. Dabei geht es um die Frage, wann eine Bewerbung wegen Verstoßes gegen Moral und öffentliche Ordnung zurückzuweisen ist. Bereits frühzeitig hat das GAC, in dem die Interessen nationaler Regierungen bei ICANN repräsentiert sind, die Hand gehoben und darauf hingewiesen, dass es hier an internationalen Standards fehle, was die Regelungen im Entwurf zum Bewerberhandbuch praxisuntauglich mache.
In einem Schreiben der kanadischen Vorsitzenden Heather Dryden an den ICANN-Aufsichtsrat vom 4. August 2010 hat das GAC nun nachgelegt. Der Regierungsbeirat betont, dass das Fehlen jeglicher kontroverser TLDs unmittelbar zur Sicherheit und Stabilität des Domain Name Systems beitrage – das Herzstück von ICANN. Mit anderen Worten: jede potentielle Top Level Domain, die zu Kontroversen führt, darf nicht eingeführt werden. Und die Gründe für Kontroversen können vielfältig sein; beispielhaft nennt Dryden nationale, kulturelle, geographische, religiöse oder sprachliche – so wörtlich – Empfindlichkeiten. Die Hürde, an der eine Bewerbung aus MOPO-Gründen scheitern könnte, ist somit vergleichsweise niedrig. Zugleich legt Dryden den Finger in die Wunde und betont nochmals, dass der Begriff „Morality and Public Order“ unbedingt ersetzt werden müsse. Zwar kommt er unter anderem in der UN-Menschenrechtserklärung vor, doch fehle es erkennbar an einer international einheitlichen Definition dieses Begriffes.
Zusammenfassend empfiehlt der Regierungsbeirat daher, dass ICANN Diskussionen in der Internet-Community anstößt, um Mechanismen zu entwickeln, die sowohl nationale Regelungen berücksichtigen als auch eine effektive Behandlung kontroverser Bewerbungen zulassen. Einen Eindruck, wie ICANN diese Herkulesaufgabe zu lösen gedenkt, sollte die Klausurtagung im September bringen; zusätzliche zeitliche Verzögerungen scheinen jedoch nicht ausgeschlossen.