Voraussichtlich im April 2026 öffnet sich zum zweiten Mal nach 2012 das Zeitfenster für Bewerbungen um eine neue generische Top Level Domain. Aber lohnt sich die eigene Domain-Endung überhaupt? Und ist das Bewerbungsverfahren nicht komplex und vor allem teuer? Rechtsanwalt Peter Müller (München) , Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Experte mit jahrzehntelanger Erfahrung in allen Fragen des Domain-Rechts und selbst als Schiedsrichter für Domain-Recht bei fünf internationalen Streitbeilegungsstellen tätig, gewährt uns in einem exklusiven Interview einen Einblick in das aktuelle Bewerbungsverfahren – und was sich zur ersten Einführungsrunde 2012 geändert hat.
Herr Müller, in der Öffentlichkeit spielt das Thema nTLDs bisher keine große Rolle. Provokant gefragt: brauchen wir überhaupt weitere Domain-Endungen?
Betrachtet man die öffentliche Wahrnehmung, scheint die Antwort „Nein“ zu sein. Es gibt bereits eine unüberschaubare Vielzahl von Domain-Endungen für alle speziellen Bedürfnisse und die Registrierungszahlen zeigen, dass die Nachfrage nach wie vor bei den „alten“ Domain-Endungen wie .com, .net oder .org sowie bei Länderendungen wie .cn, .de oder .uk am höchsten ist.
Andererseits bieten neue Endungen auch eine Nische für Start-ups oder spezielle Berufsgruppen. Die klassischen TLDs (.com, .net, .de) sind in den besten, kurzen und generischen Namen bereits vergeben, sodass es extrem schwierig geworden ist, einen kurzen, leicht zu merkenden Namen zu finden. Hier können neue Endungen wie .app, .gmbh oder die von mir genutzte .legal neue Möglichkeiten eröffnen. Ich sehe in jedem Fall noch Use-Cases für neue Domain-Endungen, die 2012 noch nicht vergeben wurden. Auch im Bereich der geographischen TLDs (geoTLDs) sehe ich noch Entwicklungspotenzial. Mit .berlin, .hamburg oder .bayern haben wir hier allein in Deutschland sehr gute Beispiele dafür, dass durch diese Endungen eine lokale digitale Identität geschaffen und gefördert werden kann.
Schließlich haben viele Markeninhaber aus der ersten Einführungsrunde gelernt und können nun die Notwendigkeit und den möglichen Nutzen einer eigenen .brand besser einschätzen. In allen Bereichen dürfte ein Grundsatz gelten: Ohne klaren Use-Case macht weder eine weitere generische Domainendung noch eine .brand Sinn. Aus der ersten Runde kennen wir bereits eine Reihe von Domain-Endungen, die nicht weiter betrieben wurden, da die laufenden jährlichen Kosten den strategischen und/oder wirtschaftlichen Nutzen der TLD nicht rechtfertigten. Beispiele hierfür sind .mcdonalds, .intel, .volkswagen, .adac, .wed, .budapest oder .doha.
Können Sie uns den Ablauf des Bewerbungsverfahrens aus Ihrer persönlichen Erfahrung schildern? Gibt es dabei erhebliche Änderungen zum Einführungsverfahren im Jahr 2012?
Ja, im Vergleich zur Runde 2012 gibt es erhebliche Änderungen im Bewerbungsverfahren für die Einführung neuer TLDs (Top Level Domains), die für 2026 angekündigt ist. Das finale, überarbeitete „Applicant Guidebook“ (AGB) wurde vom ICANN-Board verabschiedet und wird voraussichtlich im Dezember 2025 veröffentlicht. Dies ist das maßgebliche Dokument für alle genauen Details. Die ICANN hat die Richtlinien aufgrund der Erfahrungen aus der ersten Runde umfassend überarbeitet, um den Prozess vorhersehbarer, fairer und effizienter zu gestalten. Insbesondere die folgenden Punkte dürften für potentielle Interessenten relevant sein:
– Die Möglichkeit, Konflikte durch private Auktionen zwischen den Bewerbern zu lösen, ist aus Transparenzgründen explizit untersagt worden.
– Bewerber können in ihrer Bewerbung nun auch einen alternativen Wunsch-TLD-Namen („Replacement String”) angeben. Wenn der ursprüngliche String in einen Konflikt gerät, kann der Bewerber auf den Ersatz-String ausweichen, um eine Auktion zu vermeiden.
– Anträge für sogenannte „Closed Generic TLDs” (generische Begriffe wie .book oder .cloud, die exklusiv vom Betreiber für eigene Zwecke genutzt werden sollten) sind untersagt.
– Die ICANN hat das Verfahren für .brand-Bewerber gestrafft und formalisiert, um ihnen einen dedizierten, vereinfachten Weg zu bieten. In der Runde 2012 mussten diese Bewerber noch den Standardweg gehen, was zu unnötigen Komplikationen führen konnte. Der neue Weg für Bewerber um eine .brand basiert auf der Annahme, dass eine Organisation, die eine TLD für ihre eigene Marke beantragt, in der Regel keine Dritten Domain-Namen unter ihrer Endung registrieren lässt. Daher gelten andere Risiken und Gemeinwohlanforderungen („Public Interest Commitments”) als bei offenen generischen TLDs. Zudem können Bewerber nun einen vorab genehmigten technischen Dienstleister (Back-End-Provider) nutzen und müssen sich dann nicht der detaillierten und zeitaufwändigen technischen und betrieblichen Evaluierung unterziehen.
Mit welchem Budget sollte ein Bewerber Ihrer Erfahrung nach kalkulieren, und welche Kosten fallen überschlägig an?
Die Kosten für das Antragsverfahren einschließlich der an die ICANN zu zahlenden Bewerbergebühren werden nach aktuellem Stand voraussichtlich zwischen US$ 280.000,- und US$ 300.000,- liegen. Der laufende Betrieb kostet jährlich ca. US$ 50.000,-. Da die tatsächlichen Kosten für Beantragung und Betrieb von zahlreichen Faktoren abhängig sind, können die Kosten im Einzelfall abweichen.
Welche Top Level Domains haben aus Ihrer Sicht die größten Erfolgschancen – generische Domain-Endungen wie .blog und .shop oder doch eher Markenendungen wie .apple und .microsoft?
Die Antwort hängt davon ab, wie „Erfolg“ definiert wird: Wirtschaftlicher Erfolg (hohe Registrierungszahlen und Umsätze) oder strategischer Erfolg (volle Kontrolle und Markenschutz)?
Meiner Meinung nach wurden der Großteil der interessanten generischen Endungen wie .shop, .web, .online oder .store bereits in der ersten Runde der Einführung der new gTLDs beantragt. Damals gab es insgesamt über 1.900 Bewerbungen um neue Domain-Endungen. Generische Endungen sind darauf ausgelegt, ein großes Marktsegment abzudecken. Ihr Erfolg wird primär an der Anzahl der Registrierungen und den damit generierten Einnahmen gemessen. Hier sehe ich nur noch wenig Potenzial für Endungen, die auf ein Massengeschäft ausgelegt sind, da der Markt insoweit weitestgehend gesättigt sein dürfte. Es gibt aber sicher noch Nischenmärkte, in denen Anbieter mit einer neuen Endung wirtschaftlich erfolgreich sein können, beispielsweise durch die standardmäßige Implementierung spezieller Sicherheitsmaßnahmen oder die Fokussierung auf eine ganz konkrete Nutzergruppe.
Daneben gibt es insbesondere im Bereich der .brand-Endungen Möglichkeiten für einen strategischen Mehrwert durch eine eigene Top Level Domain. In diesem Zusammenhang sind Themen wie Markenschutz, Cybersicherheit oder Kundenvertrauen entscheidend, nicht die bloße Wirtschaftlichkeit.
Bisher gibt es mit der Salesforce Inc. lediglich ein weltbekanntes Unternehmen, das öffentlich bestätigt hat, sich um die eigene .brand bewerben zu wollen. Das Interesse scheint in der Wirtschaft daher eher gering zu sein. Welche Vorteile verspricht die eigene .brand überhaupt?
Aus meiner Sicht gibt es zwei zentrale Gründe für die Bewerbung um eine .brand: Marketing und IT-Sicherheit.
Eine eigene .brand kann exklusiv in der Unternehmenskommunikation genutzt werden und eröffnet neue Möglichkeiten für das Marketing. So stehen sämtliche Domain-Namen zur Nutzung zur Verfügung (z. B. jobs.brand, shop.brand oder product.brand) und eine gezielte Ansprache der Verkehrskreise über kurze und eingängige Domain-Namen ist möglich.
Unabhängig von der nach außen hin sichtbaren Nutzung kann eine eigene Domain-Endung auch zur Stärkung der internen und externen IT-Sicherheit beitragen. Durch eine eigene Infrastruktur erlaubt sie die vollständige Kontrolle über die mit ihr verbundene Kommunikation des Unternehmens. Dazu gehören Name-Service-Resolution und die Nutzung von DNSSEC und anderen Technologien, die nur auf der Ebene der Internet-Endung einsetzbar sind. Kriminelle haben es deutlich schwerer, beispielsweise mit Phishing-Attacken erfolgreich zu sein.
Im Einzelfall können auch andere Gründe ausschlaggebend sein, beispielsweise die Koexistenz mehrerer gleichnamiger Firmen und das Bestreben eines der Marktteilnehmer, die Chance auf eine eigene Endung nicht zu verpassen und kein Nachsehen in Bezug auf die anderen Gleichnamigen zu haben.
Reges Interesse an der eigenen Top Level Domain haben bisher Anbieter von Blockchain-basierten Web3-Domains wie Unstoppable Domains gezeigt. Sehen Sie einen Markt für solche Krypto-Endungen und verspricht die Kombination aus Web2/Web3-Domains besondere Vorteile?
Ich persönlich halte die Kombination aus Web2/Web3-Domains wegen des fundamentalen anderen zu Grunde liegenden Konzepts und der regulatorischen Hürden für problematisch.
Web3-Domains sind nicht einheitlich reguliert, werden oft als Non-Fungible Tokens (NFTs) auf einer Blockchain (wie Ethereum oder Polygon) gespeichert und können, was in Bezug auf Zensur durchaus vorteilhaft sein kann, nicht von einer zentralen Behörde (wie der ICANN oder einem Domain-Registrar) ohne Zustimmung gesperrt oder gelöscht werden. Der größte praktische Nutzen liegt aktuell aus meiner Sicht, neben der Nutzung in Verbindung mit illegalen Aktivitäten, in der Vereinfachung der digitalen Identität: Man kann einfacher lesbare Web3-Domains als Ersatz für lange, komplexe Kryptowährungs-Wallet-Adressen nutzen. Im Gegensatz dazu sind Web2-Domains, also klassische Domain-Namen, die im ICANN-DNS-System aufgelöst werden, reguliert.
Ich verstehe das Bestreben von Anbietern von Web3-Domains, durch die Beantragung und Nutzung einer klassischen Web2-Domain einen Vertrauensfaktor im Markt zu generieren. Aufgrund der technischen Unterschiede sehe ich aber ehrlich gesagt keine echte Möglichkeit, die Services von Web2- und Web3-Domains zu kombinieren. Ein Web3-Anbieter könnte eine eigene Web2-Endung nutzen, um seine Services zu verkaufen. Außerdem könnte er seinen Web3-Kunden anbieten, für ihre existierenden Web3-Domains die korrespondierenden Web2-Domains zu erhalten. Aufgrund der daraus resultierenden Kollision wird er einen String aber wohl kaum zweimal unter Web2 und Web3 verkaufen können.
Die ICANN steht Web3-Domains im Übrigen aus verschiedenen Gründen äußerst kritisch gegenüber. Die Betreiber der Blockchain-Domains haben sich bei der Auswahl der Endungen nicht an die Vorgaben der ICANN gehalten. Dadurch können im Einzelfall Konflikte entstehen, wenn Web3- und Web2-Domains kombiniert werden. So dürfte die Blockchain-Endung .eth beispielsweise im Kosmos der ICANN nicht frei zur Verfügung stehen, da „ETH” der ISO-Code des Landes Äthiopien ist. Die ICANN schließt diese Kürzel bei der anstehenden Registrierungsrunde daher explizit aus, um die Integrität und Zuordnung der Ländercodes zu schützen. In Fällen, in denen Web3-Endungen generischen Begriffen entsprechen, die von Web2-Anbietern ebenfalls gewünscht werden könnten (z. B. .crypto, .nft), besteht ein Namenskonflikt (sog. „String-Contention“), sodass die ICANN unter Umständen gehindert ist, diese Domain-Endungen als Web2-Domains zu vergeben.
Im Ergebnis besteht aus meiner Sicht ein grundlegender Interessenskonflikt zwischen den Anbietern von Web3-Domains und der ICANN, die mit der Einführung der neuen Endungen auch Bewerbungsgebühren einnehmen möchte. Ich gehe deshalb davon aus, dass die ICANN die aktuell bestehenden Domain-Namen nicht ins DNS aufnehmen wird und dass es auf absehbare Zeit bei einer Koexistenz von DNS- und blockchainbasierten Domainnamen bleiben wird.
Mit der Einführung neuer Domain-Endungen steigt auch das Risiko für Markeninhaber, in ihren Rechten verletzt zu werden. Wie kann ich mich im Vorfeld des Bewerbungsverfahrens dagegen schützen?
Theoretisch steigt das Risiko mit jeder neuen Domain-Endung, unter der die eigene Marke registriert werden kann. Trotz der in den letzten Jahren stetig zunehmenden Missbrauchsfälle hat sich jedoch gezeigt, dass diese nicht maßgeblich auf die Einführung der neuen Top-Level-Domains zurückzuführen sind. Die meisten Verfahren werden, wie die Statistiken zu den Entscheidungen in Schiedsverfahren nach der Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy (UDRP) zeigen, nach wie vor um Domainnamen unter den alten Endungen .com, .net und .org geführt. Endungen wie .shop, .store, .xyz oder .online spielen zwar auch eine Rolle. Die Befürchtungen der Markeninhaber, es würde zu einem explosiven Anstieg von Verletzungen unter den neuen Endungen kommen, haben sich aber nicht bewahrheitet. Auch nach der nächsten Runde rechne ich nicht mit einer anderen Entwicklung.
Im Vorfeld des Bewerbungsverfahrens sind von den Markeninhabern deshalb keine besonderen Schritte erforderlich, da Verletzungen in der Regel nicht durch die Endung selbst, sondern erst durch die unter den Domain-Endungen registrierten Domain-Namen erfolgen. Diese rechtsverletzenden Domain-Registrierungen können, wie in der Vergangenheit auch, durch eine Domain-Überwachung aufgedeckt werden, um dann die erforderlichen Schritte zur Beseitigung der Rechtsverletzung ergriffen werden können.
Und wenn das Kind doch in den Brunnen gefallen ist und meine Rechte durch einen unter einer neuen Top Level Domain registrierten Domainnamen verletzt sind: kann ich mich dagegen zur Wehr setzen?
Es gibt die bereits bekannten und etablierten Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung. Diese reichen von einer Takedown-Notice, mit der Intermediäre über eine Rechtsverletzung informiert und zur Entfernung des Inhalts aufgefordert werden, über alternative Streitbeilegungsverfahren wie die auf Übertragung des Domain-Namens gerichtete Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy (UDRP) oder das auf Suspendierung eines Domain-Namens gerichtete Uniform Rapid Suspension System (URS) bis hin zu einem klassischen Vorgehen im Wege der Abmahnung und Rechtsdurchsetzung vor den ordentlichen Gerichten in Deutschland. Die Wahl des richtigen Mittels hängt in der Regel von den Umständen des konkreten Falls ab. Wenn die Domain selbst genutzt oder vor zukünftigem Missbrauch geschützt werden soll, ist die Durchsetzung von Übertragungsansprüchen sinnvoll. Wenn es hingegen nur um die schnelle Abschaltung einer rechtsverletzenden Website eines Dritten geht, der zudem noch in einer Jurisdiktion sitzt, in der sich ohnehin keine Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche durchsetzen lassen, ist – nicht zuletzt aus Kostengründen – oftmals eine Takedown-Notice das Mittel der Wahl.
In jedem Fall haben Rechteinhaber noch ausreichend Zeit, um sich auf bevorstehende Rechtsverletzungen einzustellen und ein Überwachungssystem für ihre Marken aufzusetzen. Die ersten Registrierungen unter einer in der kommenden Runde vergebenen Domainendung sind frühestens für das Jahr 2027 zu erwarten.
Herr Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch.