ICANN

gefährdet die EU das nTLD-Programm?

Die Europäische Kommission plant einen radikalen Kurswechsel für das Domain Name System (DNS): wie Kieren McCarthy, CEO der Konferenzreihe .next, enthüllt, soll der Einfluss nationaler Regierungen nachhaltig gestärkt werden. Vor allem dem gesamten nTLD-Programm drohen einschneidende Veränderungen.

In sechs „informal background papers“ getauften Hintergrundpapieren, die .next exklusiv veröffentlicht hat und die von Gerard de Graaf (Generaldirektion Informationsgesellschaft) ofbar mit Unterstützung von EU-Kommissarin Neelie Kroes stammen sollen, spricht sich die Kommission de facto für eine Regierungskontrolle über das DNS innerhalb der nächsten zwölf Monate aus. Praktisch jeder Aspekt ICANNs, vom Umgang mit Personal über das nTLD-Programm bis zur Verwaltung von ccTLDs, soll unter die Lupe genommen werden. So greift ein Papier beispielsweise ganz konkret die Einflussmöglichkeiten von Regierungen auf die Einführung neuer Endungen auf und schlägt vor, den Modus des „Early Warning“, mit dem der Regierungsbeirat Governmental Advisory Committee (GAC) jeden Bewerber frühzeitig auf Bedenken aufmerksam machen kann, um eine Regelung zu ergänzen, dass der Bewerber dann zusätzlich die Unterstützung der relevanten Community nachweisen muss. Im Fall, dass beispielsweise Saudi-Arabien Bedenken gegen .gay hätte, müsste der Bewerber also den Beleg erbringen, dass er auf eine ausreichende Unterstützung bei Schwulen und Lesben bauen kann – ein nahezu unkalkulierbares Risiko. Da eine solche Regelung kaum mehr in das Bewerberhandbuch aufgenommen wird, soll die anstehende Verlängerung des IANA-Vertrags genutzt werden, um eine entsprechende Klausel einzubauen.

Darüber hinaus soll ICANN etwaige Bedenken des GAC gegen eine neue Top Level Domain nur noch dann überstimmen können, wenn juristische oder technische Gründe dies verlangen – was praktisch kaum der Fall sein dürfte. Der Block der gesperrten Begriffe, die von einer Registrierung als Domain generell ausgenommen sind, soll des weiteren auf jedes Wort ausgedehnt werden, das eine Regierung wünscht. Nach Meinung von Domain-Blogger Kevin Murphy nahezu despotische Züge trägt die Forderung, dass jede Domain bei ernsthaften öffentlichen Bedenken suspendiert werden müsse; eine Unterstützung der Revolution in Ägypten durch Facebook und Twitter hätte somit faktisch mit einem Abschalten der Adressen sanktioniert werden können. Und auch die wechselseitige Beteiligung zwischen Registries und Registraren ist der Kommission ein Dorn im Auge; hier solle ICANN eine neue Aufsichtsbehörde schaffen, deren Entscheidungen vor Gericht angegriffen werden können.

Zusammenfassend charakterisieren sowohl Murphy als auch Professor Milton Mueller von der Syracuse University die Pläne der EU-Kommission als Schandmal für die Freiheit und Offenheit des Internets, wie man sie aus dem Iran oder China, nicht aber aus Europa erwartet hätte. Eine Reaktion des US-Wirtschaftsministeriums, unter dessen formaler Aufsicht ICANN steht, war bisher nicht zu erhalten. Dass hinter verschlossenen Türen jedoch ein heftiger Machtkampf tobt, wird einmal mehr klar.

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