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EuGH urteilt zum bösen Glauben

Der EuGH hat im Streit um die Domain reifen.eu in einer aktuellen Entscheidung den für die erste Phase der gestaffelten Registrierung von .eu-Domains relevanten Begriff der Bösgläubigkeit in der EG-Verordnung Nr. 874/2004 auf Anfrage des Obersten Gerichtshofes (Österreich) ausgelegt und Prüfungsvorgaben gegeben (Urteil vom 02.06.2010, Az.: C?569/08).

Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen der Inhaberin der in Schweden registrierten Marke „&R&E&I&F&E&N&“ (Anmeldung vom 11. August 2005) und dem Inhaber der Beneluxmarke „Reifen“ (eingetragen am 28. November 2005) um die Domain reifen.eu. Im Rahmen der ersten Registrierungsphase bei Einführung von .eu erlangte die Klägerin aufgrund ihrer Marke „&R&E&I&F&E&N&“ die Domain reifen.eu. Das vom Inhaber der Marke „Reifen“ angerufene Tschechische Schiedsgericht wies im Streitbeilegungsverfahren ihm die Domain zu (Entscheidung vom 24.07.2006, Verfahren Nr. 00910). Die Klägerin ging gegen die ADR-Entscheidung vor den österreichischen Gerichten erfolglos durch die Instanzen bis zum OGH (Oberster Gerichtshof Österreich). Der OGH legte die Frage der Auslegung des Begriffs Bösgläubigkeit in Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 aufgrund Beschlusses vom 18. November 2008 dem EuGH zur Entscheidung vor.

Der EuGH macht in seiner Entscheidung vom 02.06.2010 (Az.: C?569/08) zunächst deutlich, dass die fragliche Bestimmung in allen in Europa geltenden Fassungen zur Auslegung des Begriffs Bösgläubigkeit heranzuziehen ist, da die unterschiedlichen Sprachfassungen auch inhaltlich unterschiedlich sind. So gehe aus den anderen Sprachfassungen des Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 als der deutschen Fassung hervor, dass die in dieser Bestimmung enthaltene Aufführung von Umständen, die Bösgläubigkeit begründen, nur beispielhaft ist und keine abschließende Aufzählung. Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 sei deshalb dahin auszulegen, dass Bösgläubigkeit auch durch andere Umstände als die in den Buchstaben a bis e dieser Bestimmung aufgeführten Kriterien nachgewiesen werden kann. Der EuGH nennt vier Kriterien, die für Bösgläubigkeit sprechen:

An erster Stelle steht ein subjektives Tatbestandsmerkmal, das anhand der objektiven Fallumstände bestimmt werden muss: nämlich die Absicht, die ursprüngliche Marke gar nicht nutzen zu wollen. Die weiteren Kriterien sind objektiver Natur und umfassen die Gestaltung der Marke, einen Wiederholungscharakter sowie die gesamte Geschehensabfolge. Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die Klägerin, obgleich sie die Wortmarke &R&E&I&F&E&N& in Schweden für Sicherheitsgurte eintragen ließ, in Wirklichkeit beabsichtigte, ein Internetportal für den Reifenhandel zu betreiben. Folglich besaß die Klägerin des Ausgangsverfahrens nach den Feststellungen des OGH, und wie sie selbst einräumt, nicht die Absicht, die so eingetragene Marke für die von ihr erfassten Waren zu benutzen. Die Marke selbst, bestehend aus „&“-Zeichen vor und nach jedem Buchstaben, ist semantischer Unsinn; ohne die „&“-Zeichen ergibt sich der Gattungsbegriff „REIFEN“. Darüber hinaus hat der Kläger 33 weitere Marken nach dem gleichen Schema („&“ vor und nach Buchstaben von Gattungsbegriffen) registriert, und die Registrierung erfolgte erst kurz vor der ersten Registrierungsphase. Damit erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen der Bösgläubigkeit.

Die sehr klare und nachvollziehbare Entscheidung des EuGH, die auch noch auf weitere Fragen der Auslegung und des Verständnisses der EU-Verordnung Nr. 874/2004 der Kommission vom 28. April 2004 eingeht, ist begrüßenswert und erscheint vernünftig. Juristen werden mit dieser Entscheidung nochmals eindringlich darauf hingewiesen, was für alles EU-Recht gilt: Nicht nur die jeweils in das eigene staatliche Rechtssystem eingebrachte Umsetzungen von EU-Recht gilt, sondern immer alle Versionen aller EU-Staaten; ein noch immer vernachlässigter Punkt in Rechtsstreiten, auf den der kürzlich verstorbene Kollege Rechtsanwalt Dr. h.c. Rembert Brieske nicht müde wurde, hinzuweisen.

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